Gegen solche Brachialbauten kann sich die Gemeinde künftig mit einem neuen Paragrafen wehren.

Bauturbo könnte das Stadtbild beschädigen

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Möglich, dass der Schreiber dieser Zeilen nicht alles verstanden hat im jüngsten Bauausschuss. Er befindet sich aber mutmaßlich in guter Gesellschaft: In der ersten Sitzung nach dem Zünden des Berliner Bauturbos schwirrten soviele neue Paragrafen durch den Herrschinger Rathaussaal, dass sich sogar die Rathaus-Spitze auf unsicherem Terrain wähnte. Beispiel: Der neue Paragraf 36a, der „Zustimmung durch Einvernehmen ersetzt“. Aha.

Wie bisher muss über das „gemeindliche Einvernehmen zu einem Bauvorhaben“ abgestimmt werden. Die zehn Rätinnen und Räte entscheiden nun aber zusätzlich, ob sie den neuen „Zauberparagrafen 36a“ aus dem Sack lassen wollen. Der bestimmt nämlich, dass die Gemeinde das Landratsamt umdribbeln kann wie Musiala einen Verteidiger: Lehnt also der Bauausschuss einen Antrag ab, darf ihn das Landratsamt nicht über den Kopf der Gemeinde hinweg genehmigen. Im Baujuristen-Deutsch heißt das: Abgelehnte Zustimmung kann nicht vom Landratsamt ersetzt werden. Der Antrag kann nur noch von einem Verwaltungsgericht genehmigt werden. Das bedeutet, dass die einzelne Gemeinde mehr Macht bekommt.

Die Vor- und Nachteile des neuen Berliner Regelwerks hat die Gemeinde so zusammengefasst:

Vorteile:

• Es gibt mehr Spielraum für die Gemeinde ohne sofortigen neuen Bebauungsplan

• Es gibt ein neues kommunales Steuerungsinstrument

• Damit kommen weniger Vorlauf- und Gutachter- sowie Planungskosten auf den Bauwerber zu

Nachteile:

• Kommunale Selbstbindung. (Anmerkung: Die Gemeinde muss, wenn sie einen Antrag genehmigt oder ablehnt, alle anderen Bauwerber auch so behandeln)

• Es ist eine nachhaltige Veränderung des Ortsbildes möglich (Anmerkung: Weil von bestehenden Bauplänen abgewichen werden darf)

• Damit werden Bebauungspläne sehr schnell funktionslos werden.

Bauvorhaben Schmidschneider-, Gachenau- und Kientalstraße und Bucher Weg

Praktische Auswirkungen hatten die neuen Paragrafen bei einem konkreten Bauvorhaben keine. Beispiel Schmidschneiderstraße: Dort wollte ein Bauwerber ein Doppelhaus bauen, das sich aber nach Meinung der Gemeinde im Außenbereich befindet. Das Landratsamt war anderer Ansicht und wollte die fehlende Zustimmung der Gemeinde „ersetzen“, sprich es will das Bauvorhaben genehmigen. Und jetzt hätte der Bauausschuss den neuen Wunderparagrafen 36a ziehen können. Wäre die Gemeinde hart geblieben und hätte die Zustimmung nach dem neuen Regelwerk verweigert, wäre das Landratsamt ausgebremst gewesen, das Bauvorhaben damit auch.

Entsetzte Nachbarn hatten sich an Zeitungen und Rathaus gewandt, als an der Gachenaustraße mehrere Bäume gerodet wurden. Sie sollten einem Bauvorhaben Platz machen. Für dieses Gebiet gibt es einen Bebauungsplan, der schützenswerte Einzelbäume aufzählt. Diese Bäume, deren Stümpfe man hier sieht, zählten nicht dazu.

In der Gachenaustraße wurde die Planung für zwei Doppelhaushälften in der Variante 1 abgelehnt. Begründung: Die Grundzüge der Planung sind berührt. Mit einer Genehmigung kann der Bauwerber dagegen für die acht oberirdischen Stellplätze rechnen.

Bei einem Neubau eines Mehrfamilienhaues in der Kientalstraße waren die Gemeinderäte gnädiger. Das Haus hat eine Grundfläche von 215 Quadratmeter, drei Vollgeschosse und ein Flachdach. Dieser Voranfrage erteilten die Räte ihren Segen, obwohl Gemeinderätin Christiane Gruber darauf hinwies, dass die Referenzgebäude Kiental 3, Kiental 7 und Andechsstraße 7 kein Flachdach haben. Das fanden die übrigen Räte nicht relevant genug.

Weniger Glück hatte ein Bauwerber mit seiner Dachaufstockung im Bucher Weg 21 in Breitbrunn. Dort wollte ein Bauher das Satteldach abtragen, das Gebäude aufstocken und eine weitere Wohnung bauen. Der Bauausschuss lehnte gemäß dem bekannten Paragrafen 34 das Vorhaben aber ab, weil sich in der Nähe des Objektes kein Gebäude mit einer vergleichbaren Höhenentwicklung befinde. Es gab auch keine Zustimmung nach dem Paragrafen 36a. Damit allerdings kann das Landratsamt doch noch dazwischen funken und das „gemeindliche Einvernehmen ersetzen“.

Dieser alte Paragraf 34 aus dem Bayerischen Baugesetz, so oft verwünscht wie gewünscht, bestimmt, dass ein Bauvorhaben zulässig ist, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Dieser Gummiparagraf habe, so formulierte es Bürgermeister Schiller, eine gewisse „Baudynamik“, die so vom Gesetzgeber auch gewünscht sei.

Die praktischen Auswirkungen kritisierte insbesondere Gemeinderätin Christiane Gruber, die immer wieder auf die Folgen exzessiver Ausnutzung des Baurechts hinweist. Die ehemalige Bürgermeisterin Christine Hollacher beklagte früher schon, dass dann halt außerhalb der Legalität etwas Kubatur draufgesattelt werde. Der nächste Bauwerber in der Nachbarschaft beziehe sich dann genau auf diese kleine Bausünde und baue mindestens ebenso voluminös. So reproduzieren sich nicht nur Schwarzbauten, sie vergrößern sich dann immer weiter. Das könnte man – schön umschreibend – Baudynamik nennen.

3 Comments

  1. Wie werden wohl Bauausschuss und Gemeinderat mit dieser neuen Entscheidungsverantwortung umgehen? Werden weiterhin graue Maximalbebauungen für Wohlhabende Herrsching, Breitbrunn und Widdersberg verschandeln? Oder wird ein Ortbild geschaffen, das mit viel Grün und schattenspendenden Bäumen und einer Verkehrsberuhigung für das Wohlbefinden der Bewohner und Touristen sorgt?

  2. Der ursprüngliche Bauturbo-Entwurf der Vorgängerregierung war in einem entscheidenden Punkt strenger: Er erlaubte Abweichungen vom Baurecht nur für Mehrfamilienhäuser ab sechs Wohneinheiten. Damit sollte verhindert werden, dass der Mechanismus für flächenintensive Einfamilienhäuser oder luxuriöse Randbebauung missbraucht wird.
    Im aktuellen Gesetz fällt diese Mindestanforderung weg – und genau hier entsteht für Gemeinden wie Herrsching ein erhebliches Risiko. Ohne eine kommunal definierte Einschränkung könnten Investoren versuchen, den Bauturbo zu nutzen, um am Ortsrand neue Villen oder teure Kleinstprojekte durchzusetzen. Das würde Boden verteuern, Spekulation anheizen und die ohnehin knappe Infrastruktur weiter belasten, während bezahlbarer Wohnraum kaum entsteht.
    Herrsching muss daher selbst klar festlegen, wo der Bauturbo angewandt werden darf – und wo ausdrücklich nicht. Wohnraum sollte nämlich dort entstehen, wo Infrastruktur bereits vorhanden ist. Ein besonders geeignetes Beispiel ist das Bofrost-Gelände: fußläufig zur S-Bahn gelegen und damit ohne nennenswerte zusätzliche Verkehrsbelastung. Genau solche Standorte bieten ideale Voraussetzungen für bezahlbaren Wohnraum. Hier können Wohnungen entstehen, die jungen Menschen in Ausbildung, älteren Bürger:innen mit kleiner Rente, Bürger:innen mit Wohnberechtigungsscheinen, vielleicht auch kinderreichen Familien, eine echte Perspektive im Ort eröffnen. Im Erdgeschoss ließe sich zudem eine Tagespflegeeinrichtung unterbringen, die das Quartier funktional ergänzt und soziale Nähe schafft. So entsteht eine gesunde, lebendige Durchmischung, wie sie für Herrsching langfristig tragfähig und sozial ausgewogen ist.
    Was Herrsching hingegen vermeiden muss, ist eine scheibchenweise Zersiedelung der Ortsränder. Neue Villen und freistehende Kleinstprojekte erhöhen weder die Angebotsmenge an Wohnungen noch verbessern sie die soziale Durchmischung – sie binden nur Fläche, treiben die Bodenpreise und gefährden wertvolle Natur- und Frischluftstrukturen.
    Damit der Bauturbo nicht zum Brandbeschleuniger solcher Entwicklungen wird, braucht die Gemeinde eine klare, rechtssichere Leitlinie.

    Vorschlag für eine kommunalen Leitlinie:
    „Die Gemeinde Herrsching wendet Erleichterungen nach § 246e BauGB ausschließlich auf Vorhaben zur Schaffung von gefördertem, preisgedämpftem oder anderweitig bezahlbarem Wohnraum in mehrgeschossiger Bauweise an, die auf hierfür ausgewiesenen Entwicklungsflächen liegen.
Vorhaben am Siedlungsrand, insbesondere für Einfamilienhäuser oder nicht wohnraumschaffende Projekte, sind ausgeschlossen.
    Die Anwendung erfolgt nur, sofern eine verträgliche Belastung der örtlichen Infrastruktur (ÖPNV, Verkehr, Wasser/Abwasser, soziale Einrichtungen) nachgewiesen ist und der Erhalt wertvoller Grün- und Baumbestände gesichert bleibt.“

    • Für eine kommunale Leitlinie sind schwammige Formulierungen wie „bezahlbarer Wohnraum“ unbrauchbar.

      Ihr oder mein Geldbeutel reicht vielleicht nicht aus, dann aber der von Elon Musk.

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