• Den Begriff Heimat hinterfragt Thomas Barnstein in seiner Auseinandersetzung mit Brachialarchitektur.
  • Ela Bauer erinnert mit ihrer verfremdeten Edeka-Fassade an die spannende Vergangenheit des Hauses als Kino – vom Winde verweht. Alle Fotos: Gerd Kloos
  • Martina B'shary lässt um Fahrradständer einen Dschungel wachsen. So schön könnten banale Gegenstände in einer bunten, grünen Welt sein.
  • Dasy Fischers Wasserfall, der aus einer Boutique plätschert, wurde durch die Treppen zum Eingang inspiriert. Sind es die Tränen der Kundinnen über die Vergänglichkeit des Ladens?
  • Marlen Peix hat den grauen Bahnhof in eine Farborgie verwandelt.
  • Eine Mahnung, ein Aufruf: Georg Pollingers Fassade der Finanzschule als digitale Dekonstruktion der Machtarchitektur soll eine Warnung vor „überwunden Geglaubtem" sein.
  • Das Politische in einem Farbenrausch verborgen: Marianne Schweiglers verfremdete Fassade der Herrschinger Insel.
  • Eine Farbexplosion als Wundermittel gegen das Grau: Edith Steiner lässt einen Farbschirmspringer auf der Promenade landen.

Bringt Farbe ins Ortsbild

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Grau ist alle Theorie, sagt Mephisto im Faust. Und immer grauer wird auch Herrsching – graue Häuser, graue Autos – grauenhaft. Dagegen setzt nun der Künstlerkreis Ammersee einen beherzten Farbklecks im Ortsbild. Mit der wiederkehrenden Kunstaktion Intermezzo haben acht Künstlerinnen und Künstler banale Ecken, Fassaden, architektonische Schandflecken und öffentliche Alltagsmöbel in eine farbenprächtige Kulisse verwandelt. Der künstlerische Anspruch geht weit über den albernen Appell Unser Dorf soll bunter werden hinaus: Jede Arbeit auf den mehrere Quadratmeter großen Bannern ist im weitesten Sinn auch politisch. Die Künstler Thomas Barnstein und Georg Pollinger haben sich sogar ganz konkret mit gesellschaftlichen Entwicklungen beschäftigt: Barnstein mit moderner Brachialarchitektur in kaschierender Holzverkleidung, Pollinger mit der Nazi-Fassade der Finanzschule. Ein kurzer Bummel über den Landungssteg (gegenüber des Arthotels) könnte den Blick auf Herrsching weiten. Um die kleine Aussstellung unvergänglich zu machen, kann man sich eine Einkaufstasche mit eigenem Porträt vor einem Kunstwerk anfertigen lassen – ein Unikat für 50 Euro.

Wenn das Wetter an der Grenze zum Un-Wetter vorbeischrammt, hilft nur noch Musik: Ladylake spielte bei der Vernissage gegen den Regen an.

Die Idee für das Thema hatte die Künstlerin Edith Steiner. „Jeder ist schon mal durch den Ort gegangen und hat sich bei dem Gedanken ertappt, dass das alles anders aussehen könnte“, erzählt sie. Ihre Arbeit mit dem „Farbschirmspringer“ an der Promenade drückt eine tiefe Sehnsucht nach Farbe aus. „Die Idee mit der Promenade hatte ich an einem grauen Tag. Alles war grau, der See, die Landschaft. Ich bin ja zu Hause im gestischen Pinselstrich mit viel Farbe. So kam der Farbschirmspringer ins Bild, der sich traut, in die Farbe hineinzuspringen.  Da könnte in Herrsching auch noch mehr passieren – mehr Farbe nach Herrsching, und überhaupt, ins Leben“, ist ihre bildgewordene Botschaft.

In alphabetischer Reihenfolge: Der Breitbrunner Künstler Thomas Barnstein setzt sich mit dem „Heimat“-Begriff am Beispiel des neuen Hauses auf dem ehemaligen Carla-Grundstück auseinander: „Das Bauwerk Manifest schafft Identifikation, wo Investorenarchitektur vergeblich versucht, Heimat zu generieren.“ Der Investor spricht von „Heimat am See“, Barnstein verfremdet den Entwurf in einen gigantomanischen bunkerähnlichen Bau.

Ela Bauer setzt sich plakativ mit dem schleichenden Verlust von Kultur auseinander. Als langjährige Herrschingerin, die sich auch sehr stark in den umweltpolitischen Diskurs in der Seegemeinde einbringt, hat sie sich an die Vergangenheit des heutigen Edeka-Marktes an der Seestraße erinnert: Hier war mal Hollywood zu Gast in Form der Filmklassiker. Jetzt gibt es hier statt Emotionen Bananen, statt Scarlett O’Hara und Clark Gable Warten an der Kassenschlange.

Martina B’shary hat einen banalen Fahrrradständer am Edeka-Markt in einen Dschungel versetzt. „Die Natur holt sich ihren Raum zurück. So sieht der trostloseste Fahrradständer lebendig und charmant aus“, formulierte sie auf dem erklärenden Text neben dem Bild.

Ein schönes Bild, das auch wieder einen aktuellen Bezug hat: Dasy Fischer lässt einen kaskadenartigen Wasserfall aus einer Boutique strömen, die demnächst ihre Pforten schließt. Dem Vernehmen nach nistet sich hier ein Maklerbüro ein.

Herrschings ästhetische Achillesferse, oder auch: Herrschings verlotterte Visitenkarte, den Denkmal-geschützten alte Bahnhof, hat sich Marlen Peix vorgenommen. Die Fassade sieht aus wie ein bildgewordener LSD-Traum. Oder ist es ein Albtraum? „Wir reisen mit der Bahn, der Beginn einer Reise in eine interessante und bunte Welt“, schreibt Peix im Erklärtext.

Eine Arbeit, die sich dem Betrachter nicht auf Anhieb erschließt, kommt von Georg Pollinger. „Ein monumentales Zeugnis dunkelster Zeit“, nennt der Künstler die Fassade der Finanzschule in Lochschwab. Das Haus mit der typischen Nazi-Fassade grüßt immer noch mit dem Adler über dem Eingang, das Hakenkreuz – immerhin – wurde rausgemeiselt. „Die digitale Dekonstruktion (Pollinger hat unzählige kleine Kamellen über die Hälfte des Bilde gelegt; Red.) der Machtarchitektur offenbart sich in der Nahsicht: Olle Kamellen – als Warnung vor den Verlockungen des überwunden Geglaubten“, schreibt er im Erklärtext.

Heiter und fröhlich, so wie die Künstlerin selber ist, geriet das farbenprächtige Bild der Breitbrunner Künstlerin Marianne Schweigler: „Insel der Hoffnung und Persepktive“ nennt sie die verfremdete Herrschinger Insel mit Strand, Palmen und Liegestühlen. Ihr gelingt damit ein positiver Blick auf eine segensreiche Einrichtung, die Menschen gewidmet ist, deren Hauptaufenthaltsort nicht der palmenbeschattete Liegestuhl sein dürfte. So weitet sich das scheinbar harmlose Sujet und bekommt eine sozialpolitische Relevanz.

Edith Steiner hat die Promenade in eine Farborgie getaucht und damit eine tiefe Sehnsucht nach einem kolorierten Ortsbild verwirklicht.

2 Comments

  1. Ich bin begeistert von diesem kreativen und anschaulichen Projekt. Ziel ist es wohl sich über die Verschönerung des Ortsbildes Gedanken zu machen. So kann Kunst in den Alltag der Menschen hineinwirken und verlässt die kostenpflichtigen Museumsaele der akademischen Welt. Früher gab es Gartenbauvereine im Landkreis, die sich um das Ortsbild sorgten und Verschönerungsvereine nannten. Vielleicht ist es besser, wenn das in Herrsching im Hier und Jetzt die Künstler uebernehmen. Respekt!

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