• Der serbische Angeklagte am Freitag im Gerichtssaal des Landgerichts München II. Foto: Gerd Kloos
  • Der Vorsitzende Richter Thomas Bott. Der Angeklagte verbirgt das Gesicht hinter einer Akte.

Mysteriöse Bluttat: Familie hegt Zweifel an der Raubmord-These

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Der Schmerz ist förmlich greifbar im Gerichtssaal, als die beiden Söhne des ermordeten Autodesigners vor dem Landricht München II in der Nymphenburger Straße ihre Aussagen machen. Als der Vorsitzende Richter Thomas Bott einen der Söhne fragt, wie er die Todesnachricht, die ihn im Ausland erreichte, aufgenommen habe, versagt dem 29-Jährigen die Stimme. Auch seinen fünf Jahre älteren Bruder kostet die Zeugenaussage sichtlich Kraft. Beide Söhne treten vor der Kammer zusammen mit ihrer Stiefmutter als Nebenkläger auf. Der juristische Aufwand deutet darauf hin, dass sich die Familie mit dem schlichten Raubmotiv eines Zufallsmörders noch nicht abfinden kann. Wenn es aber keine Kurzschlusshandlung eines Kriminellen war, stellt sich eine andere Frage: Wer soll einen unbescholtenen, hoch geachteten, fürsorglichen und bescheidenen Mann umbringen wollen, der in keinerlei schräge Geschäfte verwickelt war und nur eine Leidenschaft hatte: seine beiden Oldtimer-Autos. Der mutmaßliche Täter bleibt auch an diesem Verhandlungstag stumm, bisher hat der jetzt 23-jährige Serbe nur mit einem psychiatrischen Sachverständigen gesprochen. Eine Chronologie der Ereignisse finden Sie auf https://herrsching.online/2025/07/14/vor-einem-jahr-wurde-ein-kleinkrimineller-zum-moerder/

Der angeklagte Serbe, schwarzes T-Shirt und schwarze Adidas-Trainingshose, wird in Handschellen in den Gerichtssaal B266 im Justizgebäude in der Nymphenburger Straße geführt. Die Frisur des 23-Jährigen ist modisch kurz geschnitten, das Haupthaar schon schütter, große Geheimratsecken zeichnen sich ab. Ein Justizwachtmeister und eine Justizwachtmeisterin, beide bewaffnet, bewachen den Serben. Das Wachpersonal sitzt an den Ausgangstüren, die Fenster des Saals sind durch Jalousien verschattet. Ein Fenster ist gekippt. In den Pausen wird der Angeklagte keine Sekunde aus den Augen gelassen.

Der Angeklagte wirkt, als werde gerade eine Ordnungswidrigkeit wegen Fahrens ohne Führerschein gegen ihn verhandelt. Seine Dolmetscherin, violetter Hosenanzug, übersetzt ihm flüsternd die Ausführungen des Vorsitzenden Bott, des Staatsanwalts, des Nebenklagevertreters und der Zeugen. Besonders wach und interessiert wirkt der 23-Jährige allerdings nicht. Seine beiden Verteidiger beteiligen sich still am Prozessgeschehen, Fragen an die Zeugen werden nicht gestellt.

Juristisches Seminar vor der Verhandlung

Zu Beginn des Prozesses gibt es gleich schwere Kost für die juristischen Laien im Saale. Der Vorsitzende Richter Thomas Bott erörtert mit dem Staatsanwalt und dem Nebenklagevertreter, ob der Tatvorwurf wegen der Verletzungen der Ehefrau des Ermordeten nicht „fahrlässige Körperverletzung“ lauten müsse. Die Frau hatte sich bei ihrer Flucht vor dem Mörder verletzt. Als der Richter dann noch ein BGH-Urteil zitiert und von „unforced error“ spricht, wird das Gespräch endgültig zum juristischen Seminar.

Dann wird es wieder konkret, als der Richter eine 86-jährige Nachbarin, gestützt auf einen Rollator, in den Zeugenstand bittet. Die Zeugin feierte am Tattag des 12. Juli den 85. Geburtstag und hatte sich über eine Geburtstagsgratulation ihres „netten, zuvorkommenden Nachbarn“, nämlich des späteren Opfers, gefreut. Von ihrem Balkon sieht sie das Tathaus.

Gegen 21 Uhr, sie saß mit ihrer Tochter vor dem Fernseher, klingelte plötzlich das Telefon, der nette Nachbar von gegenüber berichtete irritiert, dass es bei ihm Sturm geläutet habe – zu dieser äußerst ungewöhnlichen Zeit. Er bat sie, von ihrem Balkon aus nachzusehen, wer denn da vor seinem Haus stehe. Sie konnte allerdings von ihrem Balkon aus niemanden entdecken.

Schmerzensschreie durchs Telefon

Die Tochter, die ebenfalls auf den Balkon getreten war, entdeckte dann einen Mann, 180 bis 185 groß, der bereits im Nachbarhaus schon oben auf der Treppe stand und dann – und das wird noch Gegenstand genauer Nachfragen im Gerichtssaal – plötzlich unfassbar schnell ins Haus eindrang. Die Tochter hatte inzwischen den Telefonhörer von der Mutter übernommen und hörte durchs Telefon die verzweifelten Schreie des Nachbarn, der in diesen Sekunden schon vom Täter attackiert worden war. Es waren Schmerzensschreie, bestätigt die Tochter dem Gericht, die sie da durchs Telefon gehört habe. Möglicherweise strafrelevant könnte sein, dass der Mörder, kaum hatte er das Haus betreten, den 74-Jährigen sofort mit dem Messer angriff. Genau dieser Umstand lässt nicht nur die Familienangehörigen des Ermordeten immer wieder daran zweifeln, dass der Serbe nur einen Einbruch und Raubzug geplant hatte.

Die Tochter der 85-jährigen Zeugin hatte dann sofort einen Polizeinotruf abgesetzt – um 21.17 Uhr, genau 17 Sekunden lang dauerte das Gespräch, wie eine spätere Polizeivernehmung ergab.

Beim Verlassen des Gerichtssaals kam die Frau an der Nebenklägerbank vorbei und legte im Vorübergehen dem einen Sohn tröstend die Hand auf die Schulter. Der Mann nahm diese berührende Geste dankbar zur Kenntnis.

Ein 77-jähriger Nachbar, der anschließend in den Zeugenstand gebeten wird, erzählt dem Gericht, dass er zur Tatzeit in der Badewanne gelegen habe. Plötzlich habe er die Stimme der Nachbarin (der Ehefrau des Ermordeten) gehört und sie sofort in die Wohnung gebeten. Sie habe sich bei der Flucht vor dem Einbrecher verletzt und geblutet. Er habe sich um Erste-Hilfe-Maßnahmen bemüht und anschließend die Polizeiinspektion Herrsching direkt – also nicht über den 112-Notruf – angerufen. Anschließend habe er auch den Herrschinger Bürgermeister informiert. Dann habe er vor dem Haus nach dem Täter gesucht, inzwischen sei aber schon die Polizei vor Ort gewesen. Den Täter, der mutmaßlich Richtung Wald geflüchtet war, habe er nicht gesehen.

„Ein unfassbar hilfsbereiter Mensch“

Tief berühren die anschließenden Zeugenaussagen des 29-jährigen und des 34-jährigen Sohnes. Welchen Schmerz muss man empfinden, welche Überwindung muss es kosten, über die schlimmsten Stunden zu berichten, während der mutmaßliche Täter keine zehn Meter entfernt von den beiden sitzt und teilnahmslos in den Saal starrt. R. schildert seinen Vater als einen „unfassbar hilfsbereiten Menschen“, ernst zwar, aber trotzdem in der Lage, die Menschen zum Lachen zu bringen.

Das Hobby seines Vaters, in jeder freien Minute an seinen beiden Oldtimern herumzuschrauben, spielt in der Vernehmung dann noch eine wichtige Rolle. Der Vorsitzende fragt den Sohn, was denn der Oldtimer-Mercedes, in der Fachsprache als Pagodenmodell bezeichnet, wert sei. „Etwa 130 000 Euro“, sagte der Sohn. Den Porsche Carrera bezifferte er auf 55 000 Euro. Die Nachfrage des Richters bezieht sich wohl auf Spekulationen, der Serbe könnte es auf die beiden wertvollen Antik-Fahrzeuge abgesehen haben. Die Schlüssel und die Papiere für die Fahrzeuge lagen in einem Schlüsselschrank.

Vielleicht doch ein geplanter Mord?

Wegen des höchst mysteriösen Verhaltens, das so gar nicht an einen simplen Einbrecher erinnert, der „ungestört berauben will“, wie es der Vorsitzende formulierte, plagen die Familie immer noch Fragen, ob hinter dieser Tat nicht doch etwas anderes steckt: „Die Familie denkt bis heute darüber nach, ob es nicht doch ein geplanter Mord gewesen war, aber mir fällt niemand ein, der für einen Mordauftrag ein Motiv haben könnte.“ Die Nachfrage des Richters, ob sein Vater nicht doch wegen irgend etwas erpresst worden sei, weisen beide Söhne ab. „Mein Vater hat zwar schon Designaufträge vermittelt, sich dann aber aus dem Geschäft herausgehalten.“ Vermittlerprovisionen habe er nicht angenommen.

Wie kam der Täter so schnell ins Haus?

Detailintensive Nachfragen gab es zur Sicherung der Haustür, weil die Nachbarin und ihre Tochter verwundert darüber waren, wie schnell der Mann ins Haus eindringen konnte. Die Richter wollen wissen, ob vielleicht der Türschnapper, dieser kleine Hebel, mit dem man verhindern kann, dass die Tür ins Schloss fällt und dann versperrt ist, in der „Offen“-Stellung stand. Der Sohn konnte sich das nicht vorstellen, weil sein Vater da sehr gewissenhaft gewesen sei. Selbst wenn der Türschnapper in der „Offen“-Stellung gewesen wäre, hätte man die Tür am Griff mit Kraft aufdrücken müssen.

So bleiben nach fünf Zeugenvernehmungen immer noch viele Fragen offen, mit denen sich die Kammer bis zur Urteilsverkündung am 8. August befassen muss. Am 21. und 23. Juli, und am 1. August werden forensische und psychologische Sachverständige zu Wort kommen.

Ob eine Zeugin, die in Innsbruck wohnt und einen serbisch klingenden Namen hat, per Videoschalte vernommen werden kann, ließ der Vorsitzende noch offen. Die Zeugin gilt „als schwierig“. Wie der ganze, nur scheinbar simple Sachverhalt.

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