Der Breitbrunner Georg Strasser weiß als ehemaliger Unternehmensberater, wie man in ausweglosen Situationen kreative Lösungen findet. Für anerkannte Migranten hat Strasser einen „zweiten Wohnungsmarkt" geschaffen.

„Ohne eigene vier Wände bleiben Migranten fremd im Land“

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„Raum geben“ kommt aus der Seglersprache und regelt den Umgang auf dem Wasser. Einige Bürgerinnen und Bürger haben diesen Begriff nun für eine Initiative ausgeliehen, die Menschen Raum geben soll. Sie wollen Wohnraum für anerkannte Migranten vermitteln. „Ohne eigene vier Wände bleiben Migranten fremd im Land”, sagt der Breitbrunner Unternehmensberater Dr. Georg Strasser. Deshalb sucht die Gruppe per Zeitungsanzeige Wohnraum, der auf dem Mietmarkt für Inländer kaum vermietbar wäre (Kontakt: raumgeben.net). Für diese sozialen Maklerdienste erhielt die Gruppe nun den Integrationspreis 2024 von der Regierung von Oberbayern. herrsching.online sprach mit dem Initiator Georg Strasser und lernte dabei, dass der freie Markt auch soziale Wohltaten bringen kann.

herrsching.online: Man hätte in Ihrer Wohngegend und mit Ihrem beruflichen Hintergrund jetzt nicht vermutet, dass Sie das schwierige Feld des Wohnraums für Geflüchtete zu einer preiswürdigen Initiative motiviert. Wie sind Sie denn auf das Thema gekommen?

Georg Strasser: 2015 wurde bekannt, dass in Breitbrunn Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Deshalb haben sich ganz spontan ein paar Bürger getroffen und diskutiert, wie man die Integration dieser Flüchtlinge unterstützen könnte. Dann hat man in diesem Kreise Aufgaben verteilt. Im Vordergrund stand schon damals, dass man für diese Menschen Arbeit finden muss, in der richtigen Annahme, dass die das alleine nicht so gut können. Arbeit ist ein wichtiger Teil des Integrationsprozesses und deshalb auch ein wichtiges Feld in der Asylhilfe. Ich hatte mich damals für das Aufgabengebiet der Arbeitsvermittlung gemeldet.

herrsching.online: Was hat Sie persönlich bewegt, in der Flüchtlingshilfe aktiv zu werden?

Georg Strasser bei einer parteipolitischen Diskussion in seinem Haus

Strasser:  Da kommen zwei Dinge zusammen. Einmal hatte ich Zeit, weil ich meine unternehmerische Tätigkeit auslaufen ließ. Ich war als Unternehmensberater tätig, und durch meine berufliche Expertise geübt darin, in Problemstellungen einzudringen, für die man Lösungen suchen muss. Auf diesem Feld wie auch in der Asylhilfe ist es hinderlich, wenn man das mit politischen  Vorprägungen macht. Motivation war einfach der christliche Gedanke, dass man jemandem hilft, der Hilfe begrüßen würde.

herrsching.online: Eine Art Fingerübung für einen erfahrenen Problemlöser?

Strasser: Ja, ganz richtig, das ist wie bei einem Pianisten, der vom Klaviespielen gelebt hat, nun aber eine Veränderung in seinem Leben hat, aber weiter Klavierspielen darf, aber ich muss kein Geld mehr damit verdienen. Das ist eine Erleichterung, keineswegs eine Motivationslücke. Ich hatte es genossen, superinteressante Aufgaben zu haben, ohne damit Geld verdienen zu müssen. Und ich tue es heute noch.

herrsching.online: Man wird aber immerhin mit einem guten Gefühl belohnt?

Strasser: Man hat ein gute Gefühl, wenn etwas gelingt. Wir hatten damals einen landkreisweiten Sprecherrat für Arbeitsvermittlung gegründet. Und wir haben mit der Jobagentur, also der Arbeitsvermittlung und mit der Ausländerbehörde des Landratsamts zusammengearbeitet Wir haben uns dafür engagiert, dass landkreisweit ein einheitlicher Arbeitsvermittlungsprozess entsteht. Das war damals sehr erfolgreich, wir hatten bis zu 60 Vermittlungen pro Monat. Als sich dann die Bedingungen so geändert haben, dass Arbeitsaufnahme nicht mehr erwünscht war, vor allem in Bayern…

herrsching.online..damit wären wir wieder im politischen Bereich…

Strasser… das ist richtig. Die Rahmenbedingungen waren vorher also günstig und sie haben sich dann in die ungünstige Richtung entwickelt. Deshalb haben wir unsere Tätigkeit eingestellt.

herrsching.online: Wie ging’s dann weiter?

„Arbeit zu finden war nicht mehr das Riesenproblem“

Strasser: Im März 2023 war die Vermittlung einer Arbeitsstelle nicht mehr das Riesenproblem für Geflüchtete, das lässt sich an der Zahl der Menschen sehen, die Arbeit gefunden haben – diese Zahlen steigen beständig.  

herrsching.online: Warum? Weil die Leute inzwischen besser integriert sind und besser Deutsch sprechen, oder weil es mehr Arbeit gibt?

Strasser: Aus beiden Gründen.  Der Arbeitsmarkt ist aufnahmefähig, die Leute werden gesucht, und die Flüchtlinge brauchen Arbeit, weil sie im wesentlichen aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen sind. Sie müssen zu Hause in ihren Herkunftsländern große Familien unterstützen. Nicht selten müssen sie ihre „Schulden“ bei den Schleppern zurückzahlen. Ein Flüchtling hat einen Finanzbedarf, der viel höher ist als das Bürgergeld. Deshalb gibt es eine individuelle Motivation zur Arbeit.

herrsching.online: Die Politik war ja anfangs nicht so begeistert darüber, dass Flüchtlinge in Arbeit kommen, weil sie dadurch in Deutschland Wurzeln schlagen. Dann aber kam der Politik-Change?

Strassser: Der Politik-Change kam auch deshalb zustande, weil man gemerkt hat, dass nichts Gutes daraus entstehen kann, wenn man Leute, die man nicht abschieben kann, auch nicht arbeiten lässt. Das hat auch die bayerische Regierung bemerkt. Und dann hatten wir 2021 einen Regierungswechsel. Die Ampelregierung war stark motiviert, die Integrationsprozesse zu verbessern und Arbeitsverbote abzubauen. Das Chancenaufenthaltsgesetz hat sehr geholfen, die Hemmnisse für die Arbeitsbedingungen schrittweise abzubauen. Das hat einen positiven Geist erzeugt. Heute ist nicht abzusehen, was eine neue Regierung plant und macht. Es ist nicht mehr das Ziel, den Aufenthalt der Flüchtlinge unattraktiv zu gestalten, sondern die Zuwanderung zu begrenzen.

herrsching.online: Wie würden Sie denn das Integrationsthema beurteilen?

„Wir sind ja schließlich keine Schlepper“

Strasser: Eher positiv. Abschiebungen sind zwar juristisch möglich, aber praktisch sehr schwierig. Deutschland kann die abgeschobenen Flüchtlinge ja nicht über eine grüne Grenze ins Herkunftsland schieben, die Behörden sind ans Recht gebunden. Man kann Abzuschiebende nur zurückschicken, wenn sie ein Visum haben, wenn sie die nötigen Papiere haben, sprich wenn sie Staatsbürger dieses Landes sind. Abschiebungen ohne Papiere sind also sehr schwer möglich. Wir sind ja schließlich keine Schlepper.

herrsching.online: Staatliches Handeln ist nicht immer logisch, konsistent und verständlich. Einerseits sind Abschiebungen politisch attraktiv, andererseits werden ehrenamtliche Helfer wie Sie mit Preisen belohnt. Sie haben nun den Integrationspreis gewonnen. Warum?

Strasser: Weil wir mit unserer Idee Erfolg haben, leerstehenden Wohnraum im Landkreis und  darüber hinaus in München und im Umland von München zu vermittlen. Wir überzeugen Vermieter davon, dass es Sinn macht, Wohnraum, der nicht gut an deutsche Mieter zu vermieten ist, Geflüchteten anzubieten, diese Personengruppe praktisch als zweiten Markt zu betrachten. Seit März 2023 gibt es nun die Initiative „Raum geben“. Wir konnten fast 50 Wohneinheiten für mehr als 100 Leute vemitteln. Das sind Menschen, die sonst in Flüchtlingsunterkünften wohnen würden.

herrsching.online: Diese Menschen haben alle ein Bleiberecht?

„Zusammenarbeit mit Landrat und Behörde ist toll“

Strasser: Ja, die haben alle einen anerkannten Asylantrag. Aber viele von denen sind noch in Gemeinschaftsunterkünften, weil sie keine Wohnung finden. Sie blockieren Wohnraum, den der Landrat dann durch den Neubau von Containerunterkünften neu schaffen muss. Es gibt deshalb ein starkes öffentliches Interesse, dass ein geflüchteter Mensch einen Platz im Containerdorf freimacht, damit nicht neu gebaut werden muss. Wir haben deshalb sehr gute Verbindungen zum Landrat und zur Behörde, die Zusammenarbeit ist toll.

herrsching.online: Da trifft ein soziales Anliegen auf staatliches Interesse – das ist ja eher selten der Fall…

Strasser:  Staatliches Interesse sollte immer auch sozial sein, sonst hätten wir nicht ein so gutes Land. 

herrsching.online: Wieviele Leute arbeiten bei Ihrer Initiative mit?

Strasser: Im Kern sind wir drei Leute, ich arbeite im Office, kümmere mich um die Website und erste Anfragen von Vermietern. Und ich verwalte auch alle Mietgesuche, die uns erreichen. Wir haben ungefähr 300 Geflüchtete in unserer Datenbank, die im Moment eine Wohnung suchen.  Und dann haben wir zwei Personen, die eine klassische Maklertätigkeit machen. Wenn wir Geflüchtete informiert haben über ein Angebot, müssen Besichtigungen organisiert werden, bei Anträgen an das Jobcenter behilflich sein, und man muss Vermieter über den rechtlichen Rahmen aufklären.

Ob eine Wohnung zu schlecht ist, entscheidet der Markt, nicht der Sachbearbeiter

herrsching.online: Welche Mindestvoraussetzungen gibt es für die angebotenen Wohnungen?

Strasser:  Die Mindestvoraussetzungen definiert der geflüchtete Mensch. Das ist wie am freien Markt. Wir kommunizieren jedes Angebot. Wenn der Zustand der angebotenen Wohnung zu schlecht ist, dann entscheidet sich das am Markt.  Wir schreiben keinem Geflüchteten vor, wie er leben soll.  Wir machen uns auch keine Gedanken, ob eine Wohnung zu gut oder zu schlecht ist. Und was eine angemessene Miete ist, definiert sich durch die Angemessenheitskriterien des Jobcenters. Viele der vermieteten Wohnungen werden zumindesten unterstützt durch das Jobcenter. Da gibt es klare Richtlinien, was ein Quadratmeter Wohnung im Landkreis Starnberg kosten darf. Die Zuschüsse werden vom Jobcenter festgelegt.

herrsching.online: Wie groß ist denn noch das Potenzial ungenutzter Wohnungen im Landkreis?

„Der Mietmarkt bietet immer Gelegenheiten“

Strasser: Es werden ständig Wohnungen vermittelt, und es werden auch ständig Wohnungen frei. Der Mietmarkt ist immer bestückt mit Gelegenheiten – immer.

herrsching.online: Sie machen Ihre Arbeit vollständig ehrenamtlich, Sie bekommen keinerlei staatliche Unterstützung?

Strasser: Der Integrationspreis bringt uns jetzt 850 Euro. Ach ja, wir sind dankbar für Spenden, die wir für Zeitungsanzeigen brauchen.

Kontakt: Dr. Georg Strasser, Tel. 0151 11 50 30 65, g.strasser@sailbeautiful.com, Internet www.raumgeben.net

Spendenkonto: Verein „Wir schaffen das“ e.V., IBAN DE81 7009 3200 0202 1437 80 Verwendungszweck: Spende

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