Der CSU-Abgeordnete Michael Kießling am Rednerpult im Bundestag. Eines seiner Anliegen: Das Krankenhaussterben im ländlichen Raum verhindern. Foto: Bundestag

„Es fehlen 800 000 Wohnungen“

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Michael Kießling, 51, vertritt den Wahlkreis Starnberg-Landsberg als direkt gewählter Abgeordneter im Bundestag. Als Bauingenieur kümmert er sich im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen darum, das Bauen wieder erschwinglicher zu machen. Im Interview mit herrsching.online fordert er „pragmatische Lösungen, um die Baukosten zu senken“. So sei das Bauen in Österreich um rund 2000 Euro pro Quadratmeter billiger als bei uns. Das Interview wurde vor dem Terrorakt von Aschaffenburg geführt, die Frage nach der „Brandmauer“ hatte trotzdem nichts mit Bauvorschriften zu tun. Wir haben in dem Gespräch ein neues Wort gelernt: „Eigenkapitalersetzende Maßnahmen“. Heißt: Der Staat muss neue Förderungen für Bauwillige auf den Weg bringen.

herrsching.online: Herr Kießling, Sie waren drei Jahre Bürgermeister von Denklingen und sind Mitglied im Bundesstags -Ausschusses für Wohnen Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. Da müsste Sie zum Beispiel auch interessieren, dass die Bautätigkeit in vielen Gemeinden am Boden liegt. In der letzten Bauausschusssitzung in Herrsching wurde kein einziger Bauantrag und nicht einmal eine Bauvoranfrage behandelt. Wie kriegen wir die Bauindustrie und das kommunale Bauen wieder in Schwung?

Kießling: Wir bauen momentan zu teuer. So mussten wir allein in den letzten drei Jahren Baukostensteigerungen über 40 Prozent hinnehmen. Zudem hatten wir, veranlasst durch die noch amtierende Regierung, steigende Anforderungen an das Bauen sowie weniger Förderung. Dazu kamen überdies zeitweilig noch höhere Kreditzinsen. Und deshalb wurde zu teuer gebaut und auch zu teuer vermietet. Als CSU im Deutschen Bundestag haben wir daher auf unserer Klausurtagung im Kloster Seeon zu Beginn des Jahres ein Papier verabschiedet, wie wir den Bau wieder attraktiver machen wollen. Dabei geht es allen voran um die Eigentumsförderung und die steuerliche Abschreibung. Denn für uns steht fest, dass alle Bauwilligen, ob Private, soziale oder institutionelle Bauträger oder Investoren, motiviert werden müssen, um in Deutschland wieder zu bauen.

herrsching.online: Wo müssen Vorschriften, Normen und kommunale Satzungen geschliffen oder zurückgefahren werden? Zum Beispiel bei den Stellplatzsatzungen?

Kießling: Das Land Bayern entschlackt bereits seit Jahren seine Bauvorschriften. Und deshalb muss der Bund beim Baugesetzbuch und bei der Förderkulisse hier ebenfalls einen Beitrag leisten. Was die Normen anbelangt, hat der Bund zwar keinen Einfluss, da die Industrie diese Vorschriften gestaltet. Aber wir können die Standards bei Gebäuden wieder pragmatischer und auch wirtschaftlicher formulieren. Zum Beispiel wird beim Bauen die höchste Klasse des Schallschutzes verwendet, obwohl auch geringere Klassen baulich möglich wären. Aber sollte ein Verbraucher gegen den geringeren Standard klagen, dann orientiert sich das Gericht am Stand der Technik, also am höchsten Standard des Schallschutzes. Das wiederum führt dazu, dass immer der bestmögliche Schallschutz beim Bauen umgesetzt wird und die Baukostenspirale nach oben gedreht wird. Deshalb brauchen wir hier Rechtssicherheit für pragmatische Lösungen, um Baukosten zu senken.

herrsching.online: Sie sind also auch dafür, dass man nicht immer das Beste und Teuerste beim Bau realisiert?

Kießling: Genau, ich bin dafür, dass man die Anforderungen wieder zurückschraubt.

In Deutschland kostet der Quadratmeter Bau 5100 Euro, in Österreich 3200 Euro

herrsching.online: Warum können sich normale Bürger in einem teuren Landkreis wie Starnberg eigentlich kaum noch die Miete, geschweige denn Wohneigentum leisten?

Kießling: Wie eingangs erwähnt, ist Bauen schlicht zu teuer, und deswegen müssen wir an mehreren Stellschrauben drehen, um vor allem in Ballungsgebieten wieder mehr bezahlbaren Wohnraum entstehen zu lassen. Deshalb wollen wir einerseits eigenkapitalersetzende Maßnahmen auf den Weg bringen, da wir dadurch die Eigenkapitalquote anheben und die Möglichkeit – sich Eigentum anzuschaffen – verbessern können. Zum anderen müssen wir das Bauen insgesamt wieder billiger machen. Ein Beispiel: In Deutschland kostet der Quadratmeter knapp 5100 Euro, in Österreich sind es rund 3200 Euro. Und die wohnen auch nicht schlechter als wir. Das heißt, wir müssen die bestehende Kostenspirale aufbrechen. Und dazu gehört für uns mitunter das Absenken der Nebenerwerbskosten, beispielsweise durch Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer.

Zwei von drei Wohnungen gehören Kleinvermietern

herrsching.online: Wer ist eigentlich der bessere Bauherr – die öffentliche Hand oder der private Bauherr, sei er nun privat oder als Kapitalanleger unterwegs?

Kießling: Wir brauchen jeden Bauherrn, den öffentlichen und vor allem den privaten. Denn etwa zwei Drittel der bundesweit vermieteten Wohnungen gehören privaten Vermietern – insbesondere Kleinstvermietern mit maximal zwei Wohnungen.

herrsching.online: Was halten Sie von genossenschaftlichem Bauen?

Kießling: Das gehört auch dazu. Die Kunst der Politik ist es deshalb, keinen Bauherrn zu privilegieren. Jeder soll die Möglichkeit bekommen, Wohnraum, Mietwohnungen oder gar Siedlungen zu bauen. Denn blickt man auf den deutschen Wohnungsmarkt, so haben wir derzeit einen Engpass von rund 800.000 Wohnungen. Dieses Defizit kann der Staat allein nicht aufholen beziehungsweise können auch private Bauherren oder Bauträger nicht alleine schaffen. Deshalb brauchen wir alle, die einen Beitrag dazu leisten können.

herrsching.online: Ihr  Ausschuss im Bundesstag trägt ja auch die Stadtentwicklung im Namen. Was schlagen Sie vor, um die Städte für den Klimawandel zu wappnen?

Kießling: In der letzten Wahlperiode, als die Union regierte, haben wir zum Beispiel bei der Städtebauförderung eine Klimakomponente als Querschnittsaufgabe eingeführt, Stichwort Stärkung der Klimaresilienz. Das bedeutet, wenn sich Kommunen um Förderungen bewerben, müssen sie Maßnahmen zum Klimaschutz beziehungsweise zur Anpassung an den Klimawandel erfüllen. Das gilt es auch weiterhin auf hohem Niveau zu fördern.

herrsching.online: Ein Milliardengrab für die Kommunen und Kreise sind die Kliniken in öffentlicher Hand. Starnberg hat im aktuellen Haushalt 23 Millionen für die vier Kliniken eingestellt. Was muss geschehen, dass sich Krankenhäuser wieder selber tragen?

Krankenhaus-Sterben im ländlichen Raum verhindern

Kießling:  Diese Herausforderung haben wir nicht nur im Kreis Starnberg. Denn bei der Krankenhausreform, die von der Bundesregierung verabschiedet worden ist, hat man schlicht den ländlichen Raum und seine Versorgungsbedürfnisse vergessen. Nichtsdestotrotz ist es richtig, dass etwas geschehen muss, weil die Defizite der Kliniken nicht mehr tragbar sind. Aber Ziel muss es dabei sein, dass die Krankenhausversorgung im ländlichen Raum sichergestellt und nicht benachteiligt wird.  Wir haben deshalb auf unserer Klausurtagung in Seeon beschlossen, dass wir – sofern wir wieder Verantwortung übernehmen dürfen – einen kalten Strukturwandel in unserer Krankenhauslandschaft verhindern und in der kommenden Legislatur noch mal an die Reform ran wollen, um dem ländlichen Raum ein großes Krankenhaussterben zu ersparen. Gleichzeitig müssen aber auch die Kreise und Kommunen selbstständig vor Ort entscheiden, wie sie mit ihren bestehenden Krankenhäusern und Defiziten umgehen wollen, denn der Bund kann nicht von oben herab darüber entscheiden.

herrsching.online: Wo wird die große Zentralklinik im Landkreis Starnberg stehen?

Kießling: Leider habe ich keine Glaskugel, in die ich schauen könnte, um das zu beantworten.

herrsching.online: Noch mal ein Ausflug in die Zukunft: Sie brauchen ja, wenn Merz die Wahl gewinnt, einen oder zwei Koalitionspartner. Was, wenn er die Grünen bräuchte für eine Mehrheit? Wird Merz die klare Ansage von Söder übergehen, oder fällt da etwa irgendeine Brandmauer?

Kießling: Bei dieser Wahl kämpfe ich für das bestmögliche Ergebnis für die Union und somit dafür, dass wir möglichst nur einen Koalitionspartner brauchen und dieser möglichst klein ist.

Für welchen Fußballclub schlägt Ihr Herz?

herrsching.online: Noch eine persönliche Frage: Sie sind im Bayerischen Sportverband engagiert. Für welchen Bundesligaclub schlägt Ihr Herz?

Kießling: Das ist gar nicht so schwierig – für den FC Bayern …

herrsching.online: … müssten Sie nicht auch ein bisschen nach Westen gucken, zum Beispiel nach Augsburg?

Kießling: Eine der ersten Unterschriften im Bundestag habe beim Bundestags-Fanclub des FC Bayern geleistet. Landsberg und Starnberg liegen schließlich in Oberbayern. Und da passt halt der FC Bayern gut dazu.

1 Comment

  1. Wenn es stimmt, dass der Wohnungs-und Hausbau in Deutschland besonders teuer ist, dann könnte die Bauwirtschaft doch da mal den Rotstift ansetzen. Es muessen doch nicht immer und überall staatliche Fördergelder in grosser Höhe ausgeschüttet werden.

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