Grünen-Gemeinderat Gerd Mulert wirkte leicht verzweifelt: „Dieses neue Gebäude wird den Ort verändern.“ Sein Seufzer galt dem Bauprojekt, das den Platz von Carlas Cafe einnehmen wird: Ihr Haus, in dem Herrschings beliebtester Tortentempel jahrzehntelang Gastfreundschaft bot, wird abgerissen (herrsching.online hatte schon darüber berichtet). An der Stelle des vertrauten Bürgerhauses entsteht ein Massivholz-Hybridhaus mit sieben Wohnungen und einer Artzpraxis. Das Gebäude hat 297 Quadratmeter Grundfläche und soll 12 Meter hoch werden. Der Bauausschuss stimmte den Bauplänen zu.
„Wir haben sieben Monate nach einem Bäcker oder Konditor gesucht, der das Café weiter betreiben sollte“, erzählte Carola Maler. „Aber die Interessenten für das Café hatten leider wenig Ahnung von Gastronomie und dazu noch kein Geld, Deutschland eben“, sagte sie desillusioniert. Sie musste das Haus nun verkaufen, und sie wusste auch, was folgen würde: „Dann kommen die Abrissbagger.“ Tatsächlich ist das Haus, das ihr Opa im Jahr 1945 mit seinem Bruder gebaut hatte, bald Geschichte. „Nach dem Krieg, in der eine unvorstellbare Wohnungsnot herrschte, haben 26 Menschen in diesem Haus hier gewohnt, in jedem Zimmer eine Familie mit Etagentoilette. Der Zahnarzt Dr. Göppel hatte hier in einem halben Wohnzimmer seine erste Praxis“, erzählte sie im Gespräch mit herrsching.online.

Warum das Gebäude groß, ja geradezu monströs werden darf, hat die Bauverwaltung in der Bauausschuss-Sitzung so erklärt: „Die Umgebung ist grundsätzlich eher mit kleineren Gebäuden bebaut, doch nach Rücksprache mit dem Landratsamt kann als Referenzobjekt das Gebäude auf dem Grundstück Landungssteg 3 herangezogen werden.“ (Biomarkt) „Vom Maß der baulichen Nutzung fügt sich das beantragte Vorhaben in die Eigenart der näheren Umgebung ein.“
„Juristisch“, sagte Mulert resignierend, „kann man da leider nichts machen.“ Und so feiert mal wieder der berühmt-berüchtigte Paragraf 34 des Baugesetztes einen Triumph, weil es keinen Bebauungsplan für das Quartier gibt.
Carola Maler blickt noch einmal zurück auf ihre Kunden, die nach der Schließung zum 31. Januar 2023 keine Heimat mehr haben: „Die Kunden tun mir ja auch leid. Aber viele haben auch Verständnis geäußert, weil sie gesehen haben, wieviel Arbeit ein solches Cafe macht. Und die Kunden haben ja auch das Gschiss mit den Mitarbeitern mitbekommen und deshalb gesagt: Ja, machen’s das. Eine über 90-Jährige hatte weniger Verständnis. Sie sagte spitz, dass wir ihr das letzte Fünkchen Lebensfreude nehmen. Ich hab sie darauf gefragt, was sie denn früher gearbeitet habe. I, sagt sie dann, i hob no nia garbeitet, mein Mo hat immer guat verdient. Sehen Sie, hab ich gesagt, das ist der große Unterschied zwischen uns beiden.“
„Juristisch“, sagte Mulert resignierend, „kann man da leider nichts machen.“ Ist diese Aussage ernst gemeint, oder ist diese nur dem Wahlkampf geschuldet? Man darf nicht vergessen, dass Herr Mulert als Gemeinde- und Kreisrat, wie auch der Rest der Grünen Fraktionen im Gemeinderat und Kreistag einer der größten Umweltzerstörung der letzten Jahre in Herrsching mit dem Neubau des Monsterbau Gymnasiums in Mühlfeld zugestimmt hat, wo großflächig CO2-bindende Torfschichten (Biotope) zerstört und abtransportiert wurden. Übrigens, in dem Gebäude Seestraße 35, schräg von dem geplanten Bauvorhaben betreibt Herr Mulert das Energiewende-Zentrum Fünfseenland; ebenfalls ein Gebäude mit drei Vollgeschossen (EG + 1. OG + 2. OG), wie die aktuelle Planung (DG kein Vollgeschoss) beim ehemaligen Carla Kaffeehaus als Nachverdichtung im Innenbereich.
Wie wahr. Aber das Gymnasium musste ja unbedingt als Prestigeobjekt an diesen Platz. Klimaschutz ist eben nicht gleich Klimaschutz, nur wenn er halt nicht stört. Vom Finanziellen gar nicht zu sprechen. Ein Desaster. Schade um Carlas Café.
Bürgermeister und bestimmte Gemeinderäte lieben den § 34 und setzen bekanntlich ohne Rücksicht auf das Ortsbild alles daran, dass er erhalten bleibt. Und dort, wo Bebauungspläne existieren, arbeitet man emsig daran, diese abzuschaffen, um dem baulichen Wildwuchs weiter Platz zu machen. Wessen Interessen werden da wahrgenommen und verteidigt? Also ich bin für Goethe und es wird höchste Zeit.
Wenn jetzt noch Herrsching seine Präferenz für Goethe statt Schiller entdeckt, besteht die realistische Chance den Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ zu gewinnen. Ein Bauwerk, dass zur örtlichen Bohème trefflich passt. ??