Neben diesem süßen kleinen Häuschen könnten 2 Mehrfamilienhäuser mit 3 Stockwerken entstehen. In der Bauanfrage im Februar war noch nicht davon die Rede, dass das Bestandshaus erhalten bleibt. Am Montag wird der Bauausschuss über einen Vorbescheid entscheiden. Nach Paragraf 34 hat die Gemeinde keine Handhabe, diese intensive Bebauung des Grundstücks hinter der Polizeistation zu verhindern. Mit einem Bebauungsplan wäre der Einfluss der Gemeinde auf Bauhöhen, Volumen und baukulturelle Gestaltung größer.

Ein Paragraf als Städtebau-Monster?

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Dieses kleine Häuschens könnte bald große Nachbarn bekommen: Den 10 Gemeinderäten liegt eine Bauvoranfrage zum Bau von 2 Mehrfamilienhäusern vor. Eine Zustimmung gilt wegen des berühmten Paragrafen 34 Baugesetz als wahrscheinlich. Dieser Paragraf aber steht bei Städteplanern schon lange im Feuer: Er vervielfältige als „Copy-and-paste-Paragraf“ alte Bausünden, heißt der Vorwurf. Schaukelt sich die Baumasse also immer mehr auf, wie es an der Schönbichlstraße sichtbar wird? herrsching.online hat diese Frage Matthias Simon, 45, Referent für das öffentliche Baurecht beim Bayerischen Gemeindetag, vorgelegt. Die Fakten:

• Wenn Gebäude in der Umgebung wachsen oder Grundstücke geteilt werden, dann wächst auch das Baurecht der Nachbarn

• Schwache Steuerungsmöglichkeiten ohne Bebauungspläne

• Mit dem Paragrafen 34 hat die Gemeinde keinen „baukulturellen“ Einfluss

• Bebauungspläne: Städten und Gemeinden steht ein sehr weites Planungsermessen zu//

herrsching.online: Der berühmte § 34 Baugesetzbuch (BauGB) sorgt in vielen Gemeinden – so auch in Herrsching am Ammersee – für viele Diskussionen. Bei einem Bauvorhaben in Herrsching wies die Baugenehmigungsbehörde darauf hin, dass der § 34 BauGB „einen hohen Verwaltungsaufwand“ verursacht. Dieser Paragraf macht aber nicht nur viel Arbeit, viele Städtebau-Experten sagen auch, dass er immer wieder Bausünden reproduziert. Eine ehemalige Bürgermeisterin meinte sogar, dass sich ein Bauwerber auf einen Schwarzbau in der näheren Umgebung bezogen habe.  Ist der Paragraf eine Vervielfältigungs-Maschine für Bausünden?

Der Gesetzgeber wollte Bauen unbürokratisch ermöglichen

Simon: Für die Beantwortung dieser Frage muss man etwas grundsätzlich werden. Die Vorschrift steht in einem Spannungsverhältnis. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass in den organisch gewachsenen Siedlungsstrukturen unserer Städte und Dörfer in Baulücken hineingebaut werden darf, um Wohnraum zu schaffen, um nachzuverdichten und um nicht auf der grünen Wiese planen zu müssen. Der Gesetzgeber wollte das relativ unbürokratisch ermöglichen. Darum ist das Bauen in sogenannten Innenbereichen an relativ wenige Voraussetzungen gebunden. Und das ist ja im Grunde eine gute Idee. Allerdings findet sich in der Vorschrift leider kein baukultureller Prüfmaßstab. Die Genehmigungsbehörden fragen sich lediglich, was für eine Art der baulichen Nutzung und welches Maß baulichen der Nutzung beantragt wird und ob sich dieses in die nähere Umgebung einfügt. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind und das Vorhaben erschlossen ist, dann hat der Bauwerber regelmäßig Baurecht. Und dann ist es für die gewählten Stadt- und Gemeinderäte nicht selten verwunderlich, dass das Gremium so wenig Einflussmöglichkeiten besitzt. 

herrsching.online: Städtebauliche Lenkung ist mit dem „34er“ also nicht möglich.

Städtebauliche Steuerung in 34er-Gebieten ist schwach

Simon: Die städtebauliche Steuerung in reinen 34er-Gebieten ist relativ schwach ausgestaltet. Für eine solche Steuerung müsste man auf Instrumente wie Satzungen nach der Bayerischen Bauordnung oder Bebauungspläne zurückgreifen. Aber ein Bebauungsplan verursacht Arbeit und er kostet Geld. Außerdem kann gegen ihn geklagt werden. Und die Gemeinden müssen sich auf Ebene der bauleitplanerischen Abwägung auch mit dem Interesse und dem Baurecht des Grundstückseigentümers befassen.

herrsching.online: Verstehe ich es richtig, dass das Maß des Baurechts in unbeplanten 34er-Gebieten vom Maß der Umgebungsbebauung abhängt? Führt das nicht auch dazu, dass die Siedlungsstruktur schleichend wächst?

Simon: Der Paragraf 34 Baugesetzbuch hat in der Tat eine systemimmanente Tendenz zum langsamen Hochschaukeln. Eine Stadt, eine Gemeinde, die ihre Entwicklung nur über den Paragraf 34 Baugesetzbuch steuert, wird sich über die Jahrzehnte hinweg wahrscheinlich nachverdichten. Wenn Gebäude in der Umgebung wachsen oder Grundstücke geteilt werden, dann wächst auch das Baurecht der Nachbarn. Zwar langsam, aber eben doch systemimmanent.

herrsching.online Kann eine Gemeinde für ein unbeplantes Areal ohne Baurecht neben einem 34er-Gebiet einen neuen Bebauungsplan schaffen, der weniger Baurecht erlaubt, als wenn der 34er für dieses Gebiet gelten würde?

Kein Anspruch eines Siedlungsgebietes, dass das Nachbarareal nicht überplant wird

Simon: Den Städten und Gemeinden steht ein sehr weites Planungsermessen zu. Es gibt demnach grundsätzlich keinen Anspruch eines Siedlungsgebietes, dass das Nachbarareal nicht überplant wird oder mit einem bestimmten Baurecht ausgestattet wird. Das ist vielmehr eine Frage der städtebaulichen Erforderlichkeit und der Abwägung. Fahren Sie zum Beispiel nur mal nach München: Man fährt durch Obermenzing, durch Pasing, durch Laim und man merkt, dass die Häuser immer höher werden. Sie kommen aus einem Gebiet mit Einfamilienhäusern, dann kommen Reihenhäuser, dann mehrstöckige Gebäude. Das ist städtebauliche Entwicklung. Die Gemeinde muss aber in dem Bebauungsplan begründen, warum sie eine planerische Entscheidung trifft. Mit anderen Worten: Ein Bebauungsplan muss also eine schlüssige städtebauliche Begründung enthalten. Etwas anders verhält es sich bei der „Überplanung“ von 34er-Gebieten. Dort besteht ja bereits ein bestimmtes Baurecht. Mit diesem muss sich die Gemeinde bei einer möglichen „Überplanung“ befassen. Ein „Vermindern“ des Baurechts ist dabei an sehr strenge und komplexe Voraussetzungen gebunden.

herrsching.online: Einen Bebauungsplan aufzustellen, kostet also Arbeit, Zeit und auch Geld. Weil der Plan aber allen Bauinteressenten genau sagt, was erlaubt ist und was nicht, gestaltet sich die Genehmigung oder die Ablehnung eines Bauvorhabens doch dann viel einfacher?

Simon: Im Grunde ja. Nehmen wir zum Beispiel einen Wohngebietsbebauungsplan auf der Grünen Wiese: Die Gemeinde hat darin eine Art Baukastenvorgabe, eine sogenannte. Festsetzungen, geschaffen, innerhalb derer sich der Antragsteller dann bewegen darf. Die Bayerische Bauordnung knüpft mit dem sogenannten Genehmigungsfreistellungsverfahren auf Genehmigungsebene daran an. Dieser Aspekt führt aus städtebaulicher Perspektive allerdings auch zu mehr Gleichförmigkeit in Bebauungsplangebieten und zu einem Mehr an städtebaulicher Individualität in 34er-Gebieten.

herrsching.online: … anders gewendet: Gleichförmigkeit versus Kraut- und Rüben?

Simon: Das ist die andere Seite der Medaille. Manche Architekten würden Ihnen aber sagen, dass in 34er-Gebieten mehr Kreativität möglich ist.   

herrsching.online: Manche Gemeinderäte in nicht kreisfreien Städtchen und Gemeinden beklagen sich, dass sie nur eine irrelevante Vorinstanz sind, die eigentlich nichts zu bestimmen habe. Immer wieder ersetzt die Baugenehmigungsbehörde des Landratsamts das gemeindliche Einvernehmen – der Bauwerber freut sich, die gewählten Gemeinderäte sind frustriert. Warum hat der Gesetzgeber den Gemeinden so wenig Mitbestimmung mitgegeben?

Warum haben Gemeinden so wenig Mitbestimmung?

Simon: Dieser Gedanke wird regelmäßig an uns herangetragen. Ich kann den Gemeinden daher nur empfehlen, eine aktive Rolle einzunehmen, soweit dies möglich ist. Die möglichen Steuerungsinstrumente des Baugesetzbuchs und der Bayerischen Bauordnung sollten geprüft, sorgfältig abgewogen und nach Möglichkeit zum Einsatz gebracht werden. Wenngleich mir bewusst ist, dass dies Kapazitäten bindet und gelegentlich auch auf Gegenwind stößt. Aber eine andere Option haben die Gemeinden nicht.

herrsching.online: Herr Simon, wir bedanken uns für das Gespräch.

4 Comments

  1. Was das sog.kleine Häuschen betrifft, so kann ich nur hoffen, daß sich die Bausünde an der Rieder Straße nicht wiederholt,noch dazu
    ist die Zufahrt für größere Bauvorhaben völlig ungeeignet, der „Fendlbach“ muss sein ursprüngliches Bachbett behalten.
    Der Rauscher Hang ist unter Landschaftsschutz und ich hoffe, daß das so bleibt.
    Eva Kellner,seit 70 Jahren wohnhft in Herrsching.

  2. Auf die von Herrn Simon empfohlene aktive Rolle muss die Gemeinde Herrsching bei der gegenwärtigen Zusammensetzung von Rathausspitze und Gemeinderat sicher noch lange warten. Selbst der Rüffel vom Landratsamt in Sachen Bebauung Schönbichlstraße wird weder Bürgermeister noch die einschlägig bekannten Fraktionen von ihrem für Herrsching schädlichen Kurs abbringen. Man muss sich fragen, was dahinter steckt bzw. welche Ziele damit verfolgt werden.

  3. Wenn ich überflüssiges Geld hätte, ich würde dieses süße Häuschen sofort kaufen! Es tut einem direkt leid, sowas abzureissen und durch 3 moderne Häuser zu ersetzen. Gibt es denn keinen Liebhaber, der die finanziellen Mittel hat und den Profit aus dem Spiel läßt und es kauft und einer kleinen Familie günstig zum Bewohnen gibt. Das wäre eine gute Tat. Manche Menschen haben wirklich so viel Geld, da wäre es doch einfach unglaublich gr0ßmütig einfach so was zu machen.
    Das wäre in der heutigen Zeit ein Zeichen für Menschlichkeit !Ich bin da einfach blauäugig, ich weiß, es ist nicht zu realisieren. Aber vielleicht könnte die Gemeinde da ein Künstlerhaus draus machen, es finanzieren und Kurse dort abhalten und Ausstellungen… Dann kommt wieder Geld rein! Einfach ein Denkanstoß. Mir tun so kleine Häuschen einfach leid. Es ist zwar nur Stein und verbautes Holz, aber es steckt sicher Geschichte drin.

  4. Die Fragen und Antworten in diesem Interview sind es meiner Meinung nach wert, dass sich der Bauausschuss damit ernsthaft beschäftigen sollte. Probleme der rasanten Nachverdichtung und Probleme in der Grünplanung haben vielleicht in dieser Sicht der Herrschinger Bebauung ihre Ursachen. Die berechtigte Beschwerde der Starnberger Baujuristen sollten ernst genommen werden.

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