Wie der Gemeinderat im Jahre 2002 aus der Alfred-Ploetz-Straße die Ploetzstraße machte/ Grünen-Gemeinderat Hans-Jürgen Böckelmann erinnert sich/CSU-Fraktion stemmte sich 2002 gegen eine Umbenennung der Straße//
Es war eine geheimnisumwitterte Sitzung im Jahr 2002: Herrsching hatte sich mit der Bürgermeisterwahl von Christine Hollacher in die Moderne aufgemacht. Die Grünen hatten wieder 2 Gemeinderatssitze erobert, und so stand plötzlich auch die Entnazifizierung von Herrschinger Straßennamen auf der Tagesordnung. Die Frauenrechtlerin Traudl Wischnewski stieß sich besonders an der Alfred-Ploetz-Straße. Gemeinderat Hans-Jürgen Böckelmann (Grüne), der später Zweiter Bürgermeister wurde, hatte sich damals intensiv mit einem „Standardwerk“ eines Herrschinger Mediziners beschäftigt: „Die Tüchtigkeit unserer Rasse und der Schutz der Schwachen. (Verlag S. Fischer Berlin 1895)“. Eine ausführliche Vorstellung der Personen, die heute nach den Forschungsergebnissen der Gemeinde-Archivarin Dr. Friederike Hellerer in einem anderen Licht erscheinen, lesen Sie hier: https://herrsching.online2023/10/21/strassennamen-unter-ns-verdacht/
Der Verfasser hieß Dr. Alfred Ploetz und wohnte ab 1914 im Gut Rezensried. Die Nationalsozialisten hatten den Mediziner als geistigen Vater der Rassengesetze hofiert, Hitler machte ihn zum Professor und schlug ihn sogar für den Friedensnobelpreis vor. Und nach diesem Mann war eine Straße in Herrsching benannt worden.
Die Alfred-Ploetz-Straße, die in Lochschwab nach Nordwesten von der Rieder Straße abzweigt, passte nicht mehr in die Zeit eines neuen Geschichtsbewusstseins. „Die Beurteilung von Personen, die als Täter, Profiteure oder Vordenker in die Machenschaften des NS-Unrechtsstaats verstrickt waren, hat sich im Lauf der Jahrzehnte stark verändert“, schreibt dazu die Gemeinde-Archivarin Dr. Friedrike Hellerer.
Im Juli 2002 wandte sich die mittlerweile verstorbene Traudl Wischnewski an die Bürgermeisterin Christine Hollacher und an die Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat mit dem Hinweis auf den Mediziner und Rassen-Hygieniker Dr. Alfred Ploetz als dem Namengeber und mit dem Anliegen der Alfred-Ploetz-Straße einen unbelasteten Namen zu geben. Auch die damalige Bürgermeisterin Christine Hollacher stellte sich hinter diesen Antrag. Nach den Erinnerungen von Hans-Jürgen Böckelmann aber stemmte sich vor allem die CSU-Fraktion gegen die Umbenennung. „So waren halt die Zeiten“, beschreibt ein Zeitzeuge die damalige Stimmung im Gremium, „als Entschuldigung hörte man immer wieder: Jeder hatte doch Dreck am Stecken“.
Für eine Umbenennung stimmten nur 2 Räte und die Bürgermeisterin – 16 hatten Bedenken, der jetzigen Familie Ploetz mit dieser Aktion vor den Kopf zu stoßen.
Irgendjemand kam dann auf die Idee, den Vornamen einfach wegzulassen. „Ja, das war ein fauler Kompromiss“, sagt Böckelmann heute. Aber das Thema war damals emotional so aufgeladen, dass alle Mitglieder für die Namensverkürzung stimmten.
Es durfte also gerätselt werden: Wer ist nun dieser Ploetz, der mit einem Straßennamen geehrt wird: Der Mediziner und Rassen-Hygieniker Alfred, sein Sohn Wilfried oder der Enkel Alfred, der später sogar in den Herrschinger Gemeinderat einzog? Enkel Alfred Ploetz, so erinnert sich Böckelmann, hatte sich für Behinderte engagiert, pflegte seine Frau rührend und hat der Gemeinde auch wichtige Grundstücke zur Verfügung gestellt, unter anderem für neue Trinkwasserbrunnen. Auf der anderen Seite verteidigte Ploetz seinen Großvater immer wieder. „Er hat bewundernd über ihn berichtet. Er hat ihn verehrt“, erinnert sich Böckelmann. Noch 2018 sagte er der Süddeutschen Zeitung, seinen Großvater als Nazi hinzustellen, sei „völlig daneben“. Und der Schlüsselroman „Ikarien“ von Uwe Timm, dessen Frau Dagmar eine Cousine von Alfred Ploetz ist, sei „schäbig“. Die menschenverachtenden Thesen des Mediziners seien doch nur „Utopien“ gewesen. Also: Wer nun ist dieser Ploetz, dessen Name auf dem Straßenschild prangt: Der Gemeinderat Alfred Ploetz, laut Böckelmann immerhin ein „honoriger Mann“, oder der Rassen-Ideologe, der schwächlichen Neugeborenen mit einer Dosis Morphium einen sanften Tod bescheren wollte?