Texte von Dr. Friedrike Hellerer, Gemeinde-Archivarin, über Dr. Alfred Ploetz, Erich Holthaus und Madeleine Ruoff, nach denen in Herrsching Straßen benannt wurden//
Präambel:
„Die Beurteilung von Personen, die als Täter, Profiteure oder Vordenker in die Machenschaften des NS-Unrechtsstaates verstrickt waren, hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert. Waren in der direkten Nachkriegszeit die nationalsozialistischen Funktionseliten nahezu nahtlos in den Aufbau der Bundesrepublik Deutschland integriert, wird ihr Verhalten während des sogenannten „Dritten Reichs“ heutzutage weitaus kritischer beurteilt. Das gilt auch für die drei vorliegenden Fälle von „Arisierungsgewinn“, Denunziation und pseudowissenschaftlicher Expertise.
Gleichzeitig gab es in der Zeit gute Gründe für die Ehrung mit einem Straßennamen, da sich beispielsweise Erich Holthaus als VdK-Vorsitzender für den Bau der VdK-Siedlung in Lochschwab einsetzte und damit in der Nachkriegszeit, als sozialer Wohnungsbau besonders wichtig war, für günstigen Wohnraum in
Herrsching sorgte. In unserer Zeit würden Madeleine Ruoff, Alfred Ploetz und Erich Holthaus nicht mit ·
einem Straßennamen geehrt werden. Es darf angenommen werden, dass
entscheidende Fakten denjenigen, die für die Straßenbenennungen verantwortlich
waren, nicht bekannt waren.
Alfred Ploetz 1860-1940
Alfred Ploetz kam am 22. August 1860 in Swinemünde auf die Welt. Ploetz ging in Breslau zur Schule, wo er Carl und Gerhard Hauptmann kennenlernte. Schon 1879 gründete er einen „Schülergeheimbund“ „Zur Ertüchtigung der Rasse“. Ploetz studierte nach dem Schulabschluss zunächst Nationalökonomie in Breslau. Seine sozialistische Einstellung ließ ihn befürchten, durch die Bismarckschen Sozialistengesetze verfolgt zu werden, weswegen er 1883 nach Zürich floh. Zwischenzeitlich verbrachte Ploetz einige Zeit in Amerika, wo er in einer „Ikarien-Kolonie“ (vgl. „Ikarien“ von Uwe Timm) nach sozialistischen Grundsätzen lebte. Diese Erfahrungen endeten mit einer großen Enttäuschung, und Ploetz kehrte nach Zürich zurück. 1887 wechselte Ploetz das Studienfach und widmete sich der Medizin. Er promovierte sich 1890. Ploetz gehörte in Zürich einem Kreis strenger Antialkoholiker an, zu dem auch Adolf Fick, der Vater des Architekten Roderich Fick zählte.
1895 veröffentlichte Ploetz sein Werk „Die Tüchtigkeit unsrer Rasse und der Schutz der Schwachen. Ein Versuch über Rassenhygiene und ihr Verhältnis zu den humanen Idealen, besonders zum „Socialismus“. Darin wird eine Gesellschaft beschrieben, die nach rassehygienischen Idealen lebt. Es heißt: „ .. . Nach Beginn der Schwangerschaft wird die junge Mutter als eine höchst wichtige Persönlichkeit betrachtet, man gewährt ihr alle möglichen Mittel für ihr eigenes und das Gedeihen ihrer Leibesfrucht, sowie für den ungestörten Ablauf der normalen Geburt. Stellt es sich trotzdem heraus, dass das Neugeborene ein schwächliches oder missgestaltetes Kind ist, so wird ihm von dem Aerzte-Collegium, das über den Bürgerbrief der Gesellschaft entscheidet, ein sanfter Tod bereitet, sagen wir durch eine kleine Dose Morphium. Die Eltern, erzogen in strenger Achtung vor dem Wohl der Rasse, überlassen sich nicht lange rebellischen Gefühlen, sondern versuchen frisch und fröhlich ein zweites Mal, wenn ihnen dies nach ihrem Zeugniss über die Fortpflanzungsbefähigung erlaubt ist. Dieses Ausmerzen der Neugeborenen … „
Schon in einer Rezension dieser Schrift wurde darauf hingewiesen, dass jeder Versuch, rassenhygienische Tüchtigkeit wissenschaftlich zu definieren, in Unmenschlichkeit und Grausamkeit enden werde. Seit 1904 gab Ploetz die Zeitschrift „Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie heraus. 1905 gründete er die Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene. Außerdem initiierte er mehrere Geheimbünde, die sich der „Rettung der nordischen Rasse“ und deren Reinhaltung verschrieben. Laut Meldekarte zog Ploetz 1914 nach Herrsching. Er hatte das Gut Rezensried gekauft, wo er die Landwirtschaft betrieb und Versuche zur Genveränderung bei Kaninchen durch Alkoholismus unternahm.
1928 äußerte Ploetz sich zum Thema „Ziele und Aufgaben der Rassenhygiene“ in den Süddeutschen Monatsheften (1928/25/Heft6, S. 402-404): „Die Ausmerzung Minderwertiger wäre zu bewirken durch Abraten von der Ehe bei dazu Untüchtigen (Eheberatungsstellen), durch Eheverbote, durch freiwillige Sterilisierung von Verbrechern (Möglichkeit von Straferlass bei Sterilisierung), dauernde Asylierung der Geistesschwachen, Epileptiker und ähnliches.“
Gleich nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten wird ein Gesetz aufgelegt und am 1 . Januar 1934 verabschiedet, das erlaubt Personen, zwangsweise zu sterilisieren, „wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden“(„Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“).
1934 erhielt Ploetz wegen seiner Verdienste um die theoretischen Grundlagen der Rassenhygiene und der Propagierung dieser Ideen den Pettenkofer-Preis zugesprochen. 1936 ernannte der „Führer und Reichskanzler“ Adolf Hitler Ploetz wegen seiner Verdienste um die deutsche Rassenhygiene zum Professor. 1940 starb Alfred Ploetz.
Zwischen 1934 und 1945 wurden von den Nationalsozialisten ca. 400 000 „Kranke“zwangssterilisiert. Im gleichen Zeitraum wurden mehr als 200 000 Personen im Rahmen des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms ermordet.
Erich Holthaus

Erich Holthaus war ab 1948 Erster Vorsitzender des VdK-Ortsverbands Herrsching und setzte sich in dieser Funktion für die Erbauung einer VdK-Siedlung ein (sozialer Wohnungsbau?), die 1956 mit 10 Häusern realisiert wurde. Ihm zu Ehren wurde die Straße in Lochschwab, an der die Häuser liegen, Erich-Holthaus-Straße genannt. Heute wissen wir mehr über seine Person. Erich Holthaus wurde am 20. August 1891 in Düren im Rheinland geboren. Er besuchte die Landwirtschaftliche Hochschule in Bonn-Poppelsdorf, die er ohne Abschlusszeugnis verließ und bezeichnete sich selbst als Landwirt. Holthaus nahm als Offizier am Ersten Weltkrieg teil und schaffte es bis zum Oberleutnant. Er erlitt schwere Verwundungen, unter anderem eine Beinamputation, und erhielt das EK 1. und 2. Klasse, das Verwundeten-Abzeichen in Silber, das Flieger-Abzeichen und das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse. Nach dem Krieg arbeitete er in Alling für die Raiffeisenorganisation.
1929 trat er dem „Stahlhelm“ bei, einem demokratiefeindlichen Zusammenschlussehemaliger Frontsoldaten, die u.a. bewaffneten Saalschutz für die DNVP stellten. In den Zwischenkriegsjahren musste Holthaus mehrmals in psychiatrische Kliniken eingewiesen werden, da er durch hohe Schmerzmittelgaben drogenabhängig geworden war und psychische Probleme hatte. Sein behandelnder Arzt bescheinigte ihm „schwere geistige und charakterliche Schädigungen.“1934 wurde Holthaus Mitglied der SA und erhielt den Rang eines Obersturmbannführers, was dem Rang eines Oberstleutnant entsprach. 1942 kehrte er zur Wehrmacht zurück. Kurz zuvor war er zum Standartenführer der Jägerstandarte 3 ernannt worden. In der Parteikartei wird als Begründung für seine Beförderung folgende Beurteilung vermerkt: „Obersturmbannführer Erich Holthaus, der derzeitiger stellvertretender Führer der Jägerstandarte 3, ist trotz seiner schweren Verwundung, die er im Weltkrieg erlitt …unermüdlich für die Ausbildung der ihm unterstellten Einheiten tätig. H. hat sich um die Durchführung der Vorbereitungen für die freiwillige vormilitärische Wehrerziehungbesonders verdient gemacht.“
In seiner Vernehmung vor der Spruchkammer im Jahr 1948 erklärte Holthaus, er sei 1938 unfreiwillig in die NSDAP aufgenommen worden. Gleichzeitig bescheinigte ihm der damalige Herrschinger Bürgermeister Rehm: „Galt als eifriger Anhänger des Dritten Reiches!“ In einem Entnazifizierungsprozess wurde Holthaus vorgeworfen, die Schwiegermutter des N.N. schwer belastet und bei der NSDAP denunziert zu haben. Holthaus schrieb an N.N.: „… Ich wollte Ihnen … sagen, dass ich es für meine selbstverständliche Pflicht als Nationalsozialist u. SA Führer gehalten habe, den Brief Ihrer Frau an meine Frau … sofort nach Erhalt dienstlich an eine maßgebende Stelle weiterzugeben. Denn das Verhalten Ihrer Schwiegermutter kann nicht mehr als dummes Gerede alter absterbender Weiber gewertet werden, sondern ist ein zielbewusstes Unterminieren, ja geradezu Landesverrat … Aber auch schon früher sah ich mich gezwungen, auf dies Treiben Ihrer Schwiegermutter u. deren Hintermänner aufmerksam zu machen. Ich hoffe, dass jetzt endlich diesem zersetzenden Treiben ein Ende bereitet wird.“ Denunziationen dieser Art führten in vielen Fällen direkt in in KZ. In diesem Fall sind keine Folgen für die Betroffenen überliefert. Erich Holthaus starb 1963 in Bad Tölz.
Mit dem heutigen Wissen und mit Blick auf die Geschichte erscheint der Straßenname in einem anderen Licht.
Madeleine-Ruoff

Über Madeleine Ruoff schrieb der Herrschinger Heimatpfleger Gustl Empfenzeder in den „Herrschinger Heften“: „Die verdienstvolle Herrschinger Bürgerin wurde am 16. Oktober 1887 in Wilmington im Staate Delaware als Tochter des Bankiers und Papierfabrikanten Alfred du Pont geboren. Die Vorfahren, französische Refugees, gingen ins freiheitliche Amerika und wurden dort eine große, hochangesehene amerikanische Familie, in dessen Händen die Nylon-Industrie lag. Seit 1911 lebte Frau Ruoff in Deutschland, heiratete in 2 . Ehe den Ingenieur Hiebler und in 3 . Ehe Hermann Ruoff. Von 1923 bis 1946 wohnte sie als Amerikanerin in Deutschland, machte die schweren Jahre des Krieges und die Not der Nachkriegszeit mit. Sie stiftete den Herrschinger Kindergarten, intervenierte bei den Besatzungsmächten für Herrsching. Der Gemeinderat Herrsching verlieh ihr im Juli 1961 einstimmig die Goldene Bürgermedaille. Am 24. Juni 1964 starb sie in München und wurde auf dem Herrschinger Friedhof zur letzten Ruhe gebettet. Ihre Liebe zu Deutschland, zu Bayern und zu Herrsching hat sie- selbst in schwersten Zeiten- nie verleugnet.“ Am 26. Juli 1967 beschloss der Herrschinger Gemeinderat, die Keramische Straße von der Kienbachbrücke bis zur Riederstraße ihr zu Ehren in „Madeleine-Ruoff-Straße“ umzubenennen.
Heute hat sich der Blick auf die Geschichte verändert. Madeleine Ruoff entstammte der reichen und in Amerika bis heute mächtigen DuPont-Dynastie, die im 19. Jahrhundert viel Geld mit der Produktion und dem. Verkauf von Dynamit verdient hatte. Ihre erste Ehe in Amerika war sie gegen den Willen des Vaters eingegangen. Nach der Scheidung zog sie nach Europa und heiratete erneut. Ihre drei Söhne wuchsen unter anderem in Herrsching auf. Madeleine Ruoff hatte mehrere Immobilien in der Gemeinde. 1939 überließ sie das Gebäude in der damaligen Fritz-Reinhardt-Straße, der heutigen Seestraße, der NSV (nationalsozialistische Volkswohlfahrt) als Kindergarten und schenkte es im folgenden Jahr der Gemeinde. Ihr weiteres Haus an der Seepromenade stellte sie ebenfalls der NSV zur Verfügung. Es diente für drei Jahre als „Müttergenesungsheim“. Madeleine Ruoff und ihr Mann erwarben während des Krieges mehrere Immobilien. 1948, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, kam es zu einem „Wiedergutmachungsprozess“. Dem Ehepaar Ruoffwurde vorgeworfen, sich an arisierten Immobilien bereichert zu haben. Es ging vor allem um zwei Münchner Immobilien der Familie von Dr. Franz Philbert Löwenfeld. Deren Anwalt schrieb am 03. März 1949: „Die Ehefrau Ruoff war Amerikanerin. Nach Beendigung des Polenfeldzuges entschloss sie sich, sehr erhebliche Dollarbeträge nach Deutschland zu transferieren und suchte hier Kapitalanlagen. Da das Reich außerordentlich devisenarm war, wurden ihr günstige Dollarumrechnungsbeträge bewilligt.“ In einem späteren Schreiben des Anwalts vom 18. Juli 1949 heißt es: „Im Jahre 1940 stammte das geringe, damals vorhandene Immobilienangebot ausschließlich von Eigentümern, welche auf Grund der Arisierungsgesetze zum Verkauf gezwungen waren.“ Im gesamten Wiedergutmachungsverfahren wurde von Seiten der Eheleute Ruoff versucht, sowohl den Kauf als Wunsch, Löwenfeld „zur Auswanderung zu verhelfen“ darzustellen als auch zu bestreiten, Löwenfeld sei zum Verkauf gezwungen gewesen. Eigentlich sei der Kauf aus Freundlichkeit gegenüber der Familie Löwenfeld zu Stande gekommen. Im Jahr 1953 wurde ein Vergleich geschlossen, der die Nichtigkeit des Vertrags von 1940 erklärte, das Gebäude in der Isabellastraße den Nachkommen Löwenfeld zuschrieb und deren Verzichtauf das (zerbombte) Gebäude in der Ainmillerstraße dokumentierte.
Die Umbenennung der Keramischen Straße in „Madeleine-Ruoff-Straße“ geschah während der zweiten Amtszeit Ludwig Schertels als Bürgermeister der Gemeinde Herrsching. Schertel war schon in den Jahren 1937 bis 1945 Bürgermeister gewesen und hatte einen guten Kontakt zu Madeleine Ruoff gepflegt. Er hatte auch die Verleihung der neugeschaffenen Bürgermedaille an sie initiiert.
*Nähere Einzelheiten zur Rolle des DuPont-Konzerns, der im Übrigen mit Blaukreuz Geld
verdiente, während des Zweiten Weltkriegs siehe: „Der Spion vom Pariser Platz“- im
Internet aufrufbar.