Der Jubel unter den Gründenkern in Herrsching war groß: Wir kriegen eine Baumschutzverordnung, weil die Pro-Natur-Aktivisten einen Bürgerantrag im Rathaus platziert haben. Doch nun herrscht Katerstimmung in der Bürgerinitiative: Der Entwurf wurde in den Arbeitskreis Umwelt abgeschoben. Und dort schmort er nun vor sich hin. Politische Beobachter sind sich bereits sicher: Das wird nix mehr mit dem amtlichen Schutz für unsere grünen CO2-Speicher. Aber die Gegner einer Baumschutzverordnung könnten sich verrechnet haben: Die Pro-Natur-Strategen haben in einem herrsching.online-Interview angedeutet: Wenn der Gemeinderat keine Verordnung zustande kriegt, dann lassen wir die Bürger entscheiden – mittels eines Bürgerbegehrens. Das nötige Quorum, so Pro-Natur-Sprecher Norbert Wittmann, schaffen die Baumfreunde locker. Und die Co-Autorin des Pro-Natur-Entwurfs, Uli Spindler, glaubt fest daran: Herrschinger Bürger werden in einer Abstimmung pro Baumschutz votieren. Hier ihre Argumente:
herrsching.online: Der Bürgerantrag zur Baumschutzverordnung wurde an den Arbeitkreis Umwelt verwiesen und dort wohl stiefmütterlich behandelt. Ist Ihre Initiative, die immerhin fast 400 Herrschinger Bürger unterschrieben haben, damit still entsorgt worden?

Spindler: In unserer Fassung, die Pro Natur erarbeitet hat, wird eine Baumschutzverordnung wohl nicht in Kraft treten, da bin ich bei den Skeptikern. Ich habe aber die Zuversicht, dass der Arbeitskreis Umwelt unseren Entwurf als Grundlage nimmt und dem Gemeinderat eine entsprechend hochwertige Fassung zur Abstimmung vorlegt. Unsere Fassung ist tatsächlich sehr differenziert, aber auch mit 2 sehr anerkannten Expertinnen durchgearbeitet und von beiden in dieser Form abgesegnet worden. Andererseits könnte aber der Gemeinderat statt einer wirksamen Baumschutzverordnung nur Baumschutzmaßnahmen beschließen, die sehr weich formuliert sind.
herrsching.online: Es besteht also trotz des erfolgreichen Bürgerantrags, der ja vom Gemeinderat als zulässig anerkannt wurde, die Möglichkeit, dass nur noch „Pflegemaßnahmen“ für Bürgerbäume kommen?
Der Bürgermeister will keine Baumschutzverordnung
Wittmann: Die Taktik des Ersten Bürgermeisters ist klar: Er will keine Baumschutzverordnung, und die Überweisung an den Arbeitskreis dient dazu, eine Verordnung zu verzögern oder nach Möglichkeit auch zu versenken. Tatsächlich hatte eine frühere Maßnahmenliste zum Baumschutz, die aus dem Arbeitskreis Umwelt kam, einige sehr gute Ansätze. Aber man hat ja gesehen, was daraus realisiert wurde – nämlich so gut wie nichts.

Dass im Herbst das Laub nicht zusammengerecht wird, bringt die Grünplanung der Gemeinde nicht unbedingt weiter. Aber dank unseres Bürgerantrags für eine Baumschutzverordnung ist klar: Der Arbeitskreis Umwelt muss dem Gemeinderat einen Vorschlag zu einer Baumschutzverordnung vorlegen, und zwar bis April 24. Wenn das nicht funktioniert, könnte die nächste Stufe ja durchaus ein Bürgerbegehren sein.
herrsching.online: Frau Spindler, Sie waren Mitautorin des Baumschutz-Entwurfs der Bürgerinitiative Pro Natur. Wo könnte man Ihre Verordnung so entschärfen, dass sie dem Gemeinderat gefällt beziehungsweise auf große Akzeptanz der Bürger stößt?
Spindler: Wir haben in der Verordnung keine Baumart ausgenommen. Obstbäume zum Beispiel haben wir nicht ausgeklammert, weil sie meistens den schützenswerten Mindestumstand gar nicht erreichen. Schützenswert sind auf alle Fälle Walnussbäume. Herrsching war ja bekannt für seine mächtigen Walnussbäume. Sie waren prägend für das Ortsbild. Wir wollten im Vorfeld eine Diskussion darüber vermeiden, warum wir die eine Baumart rausnehmen und die andere nicht. Wenn jemand eine bestimmte Baumart nicht schützen möchte, kann er das sicherlich mit seinen Argumenten in die Diskussion einbringen. Auch beim Mindest-Stammumfang haben wir uns mit 80 Zentimeter Stammumfang an das gängige Maß der meisten Baumschutzverordnungen gelegt.
herrsching.online:… nach unserer Kenntnis will Starnberg erst Bäume ab 130 Zentimeter schützen lassen.
Spindler: … ich habe gehört, dass im Starnberger Verordnungsentwurf vom 1. März von einem Meter Stammumfang die Rede ist. Wenn mit 100 Zentimetern als Schutzbeginn einer Baumschutzverordnung durchginge, wäre das auch in Ordnung. Die Kröte würden wir schlucken.
Diese Kröte würden wir schlucken
herrsching.online: Die Bürgerinitiative hat heftige Kritik an der Behandlung der Baumschutzverordnung im Gemeinderat geübt. Was kritisiert Pro Natur?
Wittmann: Die Vorgehensweise des Ersten Bürgermeisters, den Beschlussantrag in der Gemeinderats-Sitzung plötzlich in Frage zu stellen beziehungsweise darauf hinzuweisen, dass der Antrag in der vorliegenden Formulierung abzulehnen sei und anschließend mehrere Beschlussanträge zur Abstimmung zu stellen, ist aus unserer Sicht kritisch zu hinterfragen. Wir haben uns die Ausführungen des Bürgermeisters und der Verwaltung schriftlich geben lassen und werden sie jetzt von einem Verwaltungsjuristen überprüfen lassen.
Dann wird die Gemeinde Post von einer Rechtsanwaltskanzlei bekommen
herrsching.online: Was passiert, wenn dieser Jurist zu dem Urteil kommen sollte, dass nicht alles gemäß der Gemeindeordnung abgelaufen sei?
Wittmann: Dann wird die Gemeinde Herrsching möglicherweise den Brief einer Rechtsanwaltskanzlei erhalten… Dieser Jurist, der selbst im Gemeinderat einer bayerischen Gemeinde sitzt, hat bereits 3 erfolgreiche Bürgerbegehren durchgezogen. Der große Bruder des Bürgerantrags ist ja bekanntlich das Bürgerbegehren (oder Bürgerentscheid; Red.).
herrsching.online: Wäre das ein realistisches Ziel ? Sie müssten immerhin über 800 Unterschriften für ein Bürgerbegehren einsammeln, also 10 Prozent der wahlberechtigten Bürger einer Gemeinde.
Wittmann: Wir haben für den Bürgerantrag einer Baumschutzverordnung weit über 300 Stimmen eingesammelt und würden auch das Quorum von 9 Prozent der wahlberechtigten Bürger schaffen bei einer Einwohnerzahl von über 10.000.
herrsching.online: Frau Spindler, glauben Sie, dass eine Baumschutzverordnung in einem Bürgerentscheid eine Chance hätte?
Wie würden die Bürger abstimmen?
Spindler: Es gibt viele Mitbürger, die in öffentlichen Angelegenheiten den Mund nicht aufmachen, aber beim Baumschutz dringend eine Änderung haben wollen. Das Thema bewegt die Leute. Ich sehe reelle Chancen, dass eine Verordnung im Zuge eines Bürgerbegehrens durchkommen würde.
herrsching.online: Wie würde eine Fragestellung in einem Bürgerbegehren aussehen?
Wittmann: Es muss eine mit Ja/Nein zu entscheidende Fragestellung geben, eine Begründung, der Gemeinderat muss über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens innerhalb eines Monats entscheiden und es müssen mindestens 20 Prozent der stimmberechtigten Bürger zur Abstimmung gehen , das nennt man Quorum. Entscheidend ist die Fragestellung. Wenn es soweit kommen sollte, werden wir uns gut beraten lassen.
herrsching.online: Die Baumschutzverordnung ist das Leuchtturmprojekt von Pro Natur?
Spindler: Sie ist ein wichtiges Thema, aber am Herzen liegen uns ebenso ein naturnaher Kienbach und die Grünplanung. Das Thema Kienbach wird uns noch lange beschäftigen.
herrsching.online: Warum braucht es eine Bürgerinitiative für solche Anstöße?
In Starnberg gibt es eine Grünplanungssatzung – warum nicht in Herrsching?
Wittmann: Einzelne Gemeinderäte äußern sich zu solchen Themen wie die Stellplatzsatzung oder Schottergärten. Aber es werden leider keine Initiativen ergriffen, um diese Themen zu einem guten Ende zu bringen. So sehen wir noch niemanden im Gemeinderat, der sich an die Fortschreibung der Stellplatzsatzung macht. Dabei gibt es aus anderen Gemeinden genügend gute Beispiele für eine fortschrittliche, naturfreundlichere Stellplatzsatzung. Zum Beispiel gibt es in Starnberg seit Mai auch eine neue Grünplanungs- und Gestaltungssatzung. Woher kommt für so was in Herrsching die Initialzündung?
herrsching.online: Ist Herrsching zu konservativ im Sinne von bewahrend?
Spindler: Das Verhalten der Gemeindevertreter ist teilweise sehr widersprüchlich. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, wie wir mit der Verantwortung, die wir unter anderem für unser Mikroklima im Gemeindebereich tragen, umgehen.
Verbote und Gebote gibt es auch im Sport – warum nicht für das Klima?
herrsching.online: Der politische Kampfbegriff Verbotspartei hat zur Zeit Konjunktur?
Spindler: Einige Leute setzen die Baumschutzverordnung gleich mit Verboten. Diese Leute haben leider unseren Vorschlag nicht wirklich gelesen. Das wird unserem Vorschlag auch nicht gerecht. Und das Argument, das in diesem Zusammenhang gebracht wird, dass wir alle vernünftige und verantwortungsvolle Menschen sind, die sorgsam mit Bäumen umgehen und somit keine Baumschutzverordnung brauchen, kann ich nicht nachvollziehen, wenn ich daran denke, dass im Sport, der von den gleichen vernünftigen und verantwortungsvollen Menschen betrieben wird, dass es dort selbstverständlich ganz klare Regeln gibt. Wenn es um Sport geht, dann akzeptiert jeder Mensch Regeln und Verbote. Ein Handballspieler darf einem werfenden Gegner nicht in den Arm greifen, ein Golfer darf den Ball nicht in eine bessere Position schieben, ein Fussballspieler darf nicht mit der offenen Sohle in einen Gegner grätschen. An diese Regeln hält man sich, und wenn nicht, gibt’s eine Strafe. Man stelle sich vor, diese Regeln gäbe es nicht. Aber bei einem Thema, das kein Spiel ist und uns alle und die nachfolgenden Generationen angeht, soll es keine Regeln geben? Bäume und die nachfolgenden Generationen können sich schließlich nicht wehren, sie brauchen den Schutz eines „Schiedsrichters“.