Es ist wie in einem Vorstadt-Ghetto: Wenn es dunkel wird, übernehmen Eindringlinge die Herrschaft in Gärten und an Badestränden: Millionen Mücken terrorisieren die Seeanwohner. Vor 2 Jahren hat der Verein „Mückenplage nein Danke“ Bürgermeister Schiller und die Presse ins Feuchtgebiet von Lochschwab geladen. Es ging, so der Verein, um nichts weniger als die „körperliche Unversehrtheit“ der Bevölkerung. Die Mückenplage, so Anwohner, Vereins-Aktivisten und Eltern, berühre die Fürsorgepflicht der Gemeinde gegenüber den betroffenen Bürgern. Jetzt sind sie – nach einem ruhigeren Jahr 2022 – wieder da, die stechenden Plagegeister. Die Biergärten leeren sich in der Dämmerung, die Gartenbesitzer flüchten in die Häuser, wenn die Sonne ihr schützendes Licht ausknipst, an den Badestränden geht’s zu, als würde eine hektische Evakuierung stattfinden.
Wir bringen deshalb noch einmal den Artikel aus dem August 21, der von einer spannungsgeladenen Begegnung zwischen den Befürwortern des Einsatzes eines Anti-Mücken-Bakteriums (BTI) und Bürgermeister Schiller berichtet. Es gab damals stechende Argumente und schmerzhafte Vorwürfe.
Der Vereinsvorsitzende Rainer Jünger hat herrsching.online gegenüber angedeutet, dass der Kampf gegen die Mückenplage weitergehe.

Der Ort für die Open-Air-Tortur war gut gewählt: Der Weg von der Rieder Straße zur Seepromenade ist als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Hier treffen sich nicht nur Fuchs und Has, sondern auch Millionen Mücken in den Tümpeln und Wassergräben. Wenn man einen Namen dafür bräuchte – Mückonos wäre angemessen. In diesem Feuchtgebiet wollten die Mitglieder des Vereins „Mückenplage nein Danke“ Bürgermeister Schiller überzeugen, dass Herrsching gegen Lochschwabs Bürgerfeinde Nummer eins, die Stechmücken, ankämpfen müsse.
Der Lochschwaber Unternehmensberater Harry Straßer eröffnete das Mosquito-Meeting mit dem Hinweis, dass die Bürger in Lochschwab auch in Mücken-intensiven Wochen gerne mal vor die Terrassentür gehen würden. Er forderte deshalb eine „Kartierung“ der Mückenlarven, das ist so etwas wie eine Inventur der Plagegeister. Der Verein sammle inzwischen Spenden, um die Kartierung notfalls aus der eigenen Tasche zu bezahlen.
Diese Kartierung macht seit vielen Jahren der Biologe Matthias Galm (58, siehe dazu auch das Interview „Mückenbekämpfung ohne biologischen Kolateralschaden“ auf der Startseite von herrsching.online). Der Mücken-Experte aus Bad Tölz arbeitet seit 30 Jahren in den Mücken-Hotspots am Rhein, an der Donau und am Chiemsee: „Wenn eine Gemeinde sagt, sie habe Stechmückenprobleme, dann machen wir eine Kartierung, die als Grundlage für eine Genehmigung von Bekämpfungsmaßnahmen dient. Wir rücken dann bei Stechmückenplagen aus und bekämpfen sie.“
Bürger-Diskussion mit dem Bürgermeister: Apothekerin Anja Orttmann-Heuser berichtet von 160 Stichen, die Kinder in der Mückenplage des letzten Jahres erleiden mussten.
Die Lochschwaber Mücken störten sich nicht daran, dass die Pressekonferenz in der Mittagszeit stattfand: Mückenfreunde und -feinde klatschten sich unablässig auf Arme, Gesicht und Hände und zeigten dem Bürgermeister: Hier könnte Handlungsbedarf bestehen. Es handelt sich in diesem Gebiet offensichtlich um Intensivtäter.
Rainer Jünger, Chef des „Vereins Mückenplage nein Danke“, ging in seinem Statement auf die überörtliche Bedeutung der „Populationskontrolle“ ein. In Eching beispielsweise sei ein 4000 Quadratmeter großes Gelände durch Baumaschinen so verdichtet worden, dass dort Pfützenlandschaften entstanden seien. Jünger: „Wir müssen die Ursachen der Mückenplage wissenschaftlich dokumentieren – es gibt leider viel Halbwissen.“
Eine Kartierung sei dann die Grundlage, um eventuell das biologisch abbaubare BTI (Bacillus thuringiensis israelensis) einsetzen zu können. Das Bakterium produziert während der Sporenbildung Kristallproteine. Wenn BTI von den Mückenlarven aufgenommen wird, führt BTI zur Auflösung der Darmwand und schließlich zum Tod der Larven. Ob es dabei biologische Kolateralschäden, zum Beispiel bei nicht stechenden Zuckmücken gibt, ist umstritten. Galm jedenfalls verneint jeden Einfluss auf andere Arten in den Biotopen.
Der Jünger-Verein ist in seinem Ton eher moderat – aggressive Töne wie bei Querdenkern vermeiden die Mücken-Monitoring-Aktivisten. Jünger: „Ein paar Punkte sind bei einem BTI-Einsatz dringend zu beachten, und die möchte ich auch klar benennen, denn sie sind offener Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussionen: Erstens: Die Reduzierung der Biomasse (Nahrungsangebot für Fledermäuse Spinnen und andere Insekten), deshalb sollte man auch in Plage-Jahren versuchen, die Population nicht zu sehr zu dämpfen. Und zweitens muss man unbedingt darauf achten, dass man Zuckmücken nicht schädigt.“
Klingt nicht nach Mücken-Vernichtungs-Strategie. Trotzdem mahnte Jünger wie auch sein Vereinsfreund Straßer „eine Fürsorgepflicht der Gemeinde gegenüber den betroffenen Bürgern“ an. Und Straßer aggressiver: „Notfalls können wir das Thema ‚körperliche Unversehrtheit‘ nach vorne argumentieren.“
Adressat dieser Forderungen war Bürgermeister Schiller, der gleich mal klarstellte: „BTI ist für die Naturschutzbehörden kein Thema.“ Dass es hier in Lochschwab Mücken gebe, dürfe keinen ernsthaft überraschen, meinte er in seiner kurzen, immer wieder durch Bürger-Einwände unterbrochenen Rede.
Könnte keine tiefe Freundschaft werden: Ein Bürger wirft dem Bürgermeister „Halbwissen“ vor
Schiller hob in seinem Statement hervor, dass es überhaupt keinen Grenzwert für Mücken gebe, erntete dafür aber heftigen Widerspruch. Vereinsmitglieder brachten den Wert von 50 Larven in einer 250 Milliliter-Schöpfkelle ins Spiel. Einigkeit wurde in diesem Punkte nicht erzielt.
Mücken-Bekämpfer Straßer warf Schiller deshalb auch „Halbwissen“ vor, was der Bürgermeister mit erstaunlicher Contenance zur Kenntnis nahm. Trotzdem wurde die Stimmung dann mitten im Sommer leicht frostig.
Man trennte sich ohne weitere Verabredung. Ob die Mücken-Initiative noch einmal im Gemeinderat behandelt wird, ist offener denn je. Schiller outete sich in seiner Rede als begehrtes Objekt von Stechmücken. „Wenn es irgendwo eine Mücke gibt, sucht sie mich.“ Aber auch der persönliche Leidensdruck machte ihn für die Mückenbekämpfung nicht empfänglicher.
Die Echinger Bürgerin Daiana Zimmermann: „Meine Kinder hatten allergische Reaktionen nach Mückenstichen. Ich wurde gefragt, ob die Kinder einen Ausschlag haben.“ Der Echinger Kindergarten schloss während der größten Mückenplage für eine Woche, weil sich die Kinder nicht mehr ins Freie trauten.
Es gibt eine interessante Stellungnahme des Bund Naturschutz (Kreisgruppe Traunstein) zum Einsatz von BTI:
„Stechmücken, vor allem die Überschwemmungsarten Aedes vexans und Aedes sticticus spielen eine wichtige Rolle in der Lebensgemeinschaft aquatischer und terrestrischer Gebiete. Gerade durch ihr periodisches Massenauftreten während der Fortpflanzungszeit erfüllen sie eine wichtige Funktion als Nahrungstiere, sowohl in ihrer Larvenform im Wasser (z. B. Fischnahrung), als auch in ihrer adulten Form als (z. B. Vogel- und Fledermausnahrung). Eine Forderung der flächendeckenden Bekämpfung (auch in Naturschutzgebieten, z. B. Achendelta!) stellt den Menschen einseitig in den Mittelpunkt der Betrachtungen.“
Der vollständige, sehr interessante Artikel ist im Netz leicht zu finden.
Auch mir wäre nicht wohl bei dem Gedanken, dass BTI im Bereich des Ammersees zum Einsatz käme.
Wie will man denn die Wirkung räumlich begrenzen, und wie will man verhindern, dass auch andere Mückenarten, die für die Ernährung von Fischen und Vögeln bedeutsam sind, Schaden nehmen?
Gerade umweltschutzbewegte Bürger sollten anerkennen, dass der Bürgermeister hier im Sinne des Naturschutzes argumentiert.