Julia Rothbauer koordiniert in Breitbrunn die Arbeit der Flüchtlings-Helferinnen. Im Heim in der Seestraße (Bild) leben zur Zeit etwas mehr als 70 Asylbewerber.

Auf dem Bolzplatz ist Integration selbstverständlich

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Viele Flüchtlingshelfererinnen und Helfer haben nach der ersten großen Asyl-Welle ihren Dienst quittiert, weil sie wegen der Bürokratie frustriert sind. Andere Helferinnen haben aufgehört, weil sie ihre Schützlinge in der Arbeitwelt untergebracht haben. Und einige sind einfach nur müde. In Breitbrunn blieben aus dem großen Unterstützerkreis 8 Helferinnen übrig. herrsching.online hat mit der Koordinatorin für die Flüchtlingsarbeit in Breitbrunn, Julia Rothbauer, über brutale Abschiebungen, fehlende psychologische Hilfe und plötzliche Zusammenbrüche nach scheinbar gelungener Integration gesprochen. Aber wir hören auch viele gute Nachrichten: Unter Kindern gibt es wenig Vorbehalte, auf dem Bolzplatz ist Integration so selbstverständlich wie bei Profikickern. Lobende Worte findet Julia Rothbauer auch für den Landrat: „Er macht seine Sache gut.“

herrsching.online: Flüchtlingsgipfel, überlastete Kommunen, Raumnot, Hilfeschreie der Politiker – ist die Lage schlimmer als zur großen Flüchtlingswelle 2015?

Rothbauer: Es kommen eigentlich genauso viele Flüchtlinge wie damals, aber da wir in unserem Landkreis die Quote bereits erfüllt hatten, ist der Zuzug nicht ganz so stark wie in manch anderem Landkreis.

Manches in der Arbeit ist leichter geworden, weil man mittlerweile besser vernetzt ist, das System besser eingespielt ist, die bürokratischen Abläufe bekannt sind. Andererseits sieht man auch die Probleme unseres Landes deutlicher. Wir haben zu wenig Betreuerinnen im Kindergarten, wir haben zu wenig Lehrer, zu wenig Therapeuten, zu wenig Busfahrer, zu wenige, die in der Gastronomie arbeiten wollen. Ein Problem, dass uns alle betrifft, uns und die Geflüchteten. Und sie könnten aber ein Teil der Lösung sein.  Warum wir nicht auf Sprachkurse und Qualifizierung setzen, bei Menschen die bereits da sind, um unseren Mangel an Arbeitskräften einzudämmen verstehe ich nicht.

herrsching.online: Spielen die vielen ehrenamtlichen Helfer auch wieder mit?

Rothbauer: Die einen waren nie weg und die anderen haben schon vor längerer Zeit aufgehört. Der Krieg in der Ukraine hat nochmal neue Leute aquiriert.

Aber generell sind viele Helfer müde, sie stoßen an ihre Kapazitätsgrenze. Es ist ein bisschen wie beim Fußball, in der zweiten Halbzeit werden irgendwann die Beine schwer. Außerdem gibt es auch weniger Kindergartenplätze für die Flüchtlingskinder. Und das Problem setzt sich in der Grundschule fort. Eine Freundin von mir ist Grundschulehrerin mit einer Übergangsklasse, in der praktisch nur geflüchtete Kinder sitzen. Die müssen zuerst einmal Deutsch lernen. Sie wurde auf diese Aufgabe, die ja völlig neue Herausforderungen an sie stellt, überhaupt nicht vorbereitet. Sie wurde einfach ins kalte Wasser geschmissen. Gott sei dank lernen die Kinder die Sprache sehr schnell, wenn sie auch außerhalb der Schule Kontakte zu Gleichaltrigen haben.

herrsching.online: Sie haben als Helferin jetzt schon 8 Jahre Erfahrung. Kann Integration gelingen?

Rothbauer:  Ich weiß es nicht. Es ist ja ein sehr vielschichtiges Thema. Wir erwarten, dass die Geflüchteten Deutsch lernen und arbeiten. Wir Helfer wissen, dass es oft am mangelnden Angebot von Sprachkursen liegt, dass die Sprache nur langsam voran geht. Wir wissen auch, dass mehr Geflüchtete arbeiten wollen und aus bürokratischen Gründen nicht dürfen, bzw keine Arbeit kriegen. Wir vergessen, was im Einzelnen vorgeht. Aber man begegnet immer wieder Vorurteilen. Dabei ist es in der Flüchtlingswelt so wie überall, es gibt viele nette, aber auch blöde.

herrsching.online: Gibt es zu wenige Therapieplätze?

Rothbauer: Wir hatten vorher schon zu wenige Plätze, inzwischen fehlen dramatisch viele Plätze.

herrsching.online: Der Landkreis Starnberg hatte in den letzten Jahren die Aufnahmequote übererfüllt und musste in den letzten Monaten wenige Flüchtlinge aufnehmen. Entspannt sich da die Situation nicht doch?

Rothbauer: Man muss Landrat Frey bestätigen, dass er seine Sache gut macht. Dass er keine Turnhallen als Unterkünfte zweckentfremdet, finde ich auch gut.  Man spürt bei ihm praxisnahes Denken. Aber es ist immer noch zu viel Bürokratie, die Formulare sind schwer verständlich und es dauert einfach alles zu lange. Aber das Schlimmste ist, finde ich, dass wir vergessen, dass es Menschen und Schicksale sind. Was viele dieser Menschen erlebt haben an Vergewaltigung, Misshandlungen, Folter, ist für uns unvorstellbar. Was auf der Flucht in der Wüste oder auf dem Mittelmeer passiert, ist unvorstellbar. Trotzdem haben viele mittlerweile tatsächlich eine Wohnung, einen Führerschein, einen Job gefunden, haben Deutsch gelernt, sind integriert. Aber dann kommt aus heiterem Himmel der Zusammenbruch. Eine Ärztin einer Psychiatrischen Klinik hat mir das so erklärt: Viele haben ein Trauma durch die Erlebnisse auf der Flucht. Das schließen die Menschen zuerst einmal weg. Dann haben sie es hier endlich geschafft, Wohnung, Job, Aufenthaltstitel – und dann kommt der Zusammenbruch. Diese Menschen haben Dinge erlebt, die du auf Dauer nicht einfach wegstecken kannst. Die lösen sich nicht in Luft auf. Manche der ehemaligen Flüchtlinge landen dann in der Psychiatrie, einige waren sogar Suizid-gefährdet. Sie brauchen dringend psychiatrische Hilfe. Sobald sie dann eine Therapie bekommen haben und mit Medikamenten richtig eingestellt sind, sind die schon tough.

herrsching.online: Wie reagieren eigentlich Eltern auf Flüchtlingskinder in den Kindergärten und Schulen?

Rothbauer: Sobald der Kontakt da ist, sind die Leute ganz offen. Es gibt bei Kindern wohl die wenigsten Vorbehalte. Schön ist, wenn man sieht, dass die Flüchtlingskinder im Kindergarten zum Geburtstag eingeladen werden, wenn Freundschaften entstehen. Die Kinder untereinander sind da völlig offen.

herrsching.online: Sind Behörden auch offen, oder gibt es da immer wieder versteckte Abwehrhaltungen?

Rothbauer: Früher war die Haltung der Behörden eher abwehrend, aber inzwischen hat es sich personell schon ein kleines bisschen zum Positiven verändert. Aber unterm Strich hat sich nichts geändert. Was wir als sichere Herkunftsländer betrachten, wen wir abschieben,.. absolut unverständlich für mich. Zum Beispiel arbeitet ein sehr netter Iraner seit vier Jahren im Dominikus-Ringeisenwerk, in dem Behinderte betreut werden, mittlerweile in Festanstellung. Er ist in einem Alter, indem einem eine neue Sprache nicht mehr zufliegt, aber er hat sich bemüht und sich durchgebissen. Er hat sich immer an alle Regeln gehalten, hat sich vorbildlich verhalten, sein Geld selber verdient. Er ist unabkömmlich mittlerweile, aber seine Abschiebung konnte nur durch ein großes Aufgebot an Helfern und Presse verhindert werden. In letzter Sekunde damals. Und ich hoffe, dass jeder, der leichtfertig über Außengrenzen und Abschiebungen urteilt, einmal die Angst des Einzelnen sieht. Denn zumindest leichtfertig darf man nicht damit umgehen.

herrsching.online: Und da ist noch der Fall der afghanischen Ärztin, die ebenfalls nicht arbeiten durfte…

Rothbauer: Die hat mittlerweile eine Rückführung nach Spanien bekommen, weil die Behörden meinen, Deutschland sei nicht zuständig für sie. Sie war mit einem Visum nach Spanien eingereist, das ihr ein Reporter besorgt hatte. Sie ist selbst als Achtjährige auf eine Mine getreten und hat ihr Bein verloren. Bis es ihr von den Taliban verboten worden war, hat sie als Physiotherapeutin für behinderte Kinder gearbeitet und eine Rollstuhl-Basketballmannschaft für Frauen in Afghanistan (!!) auf die Beine gestellt. Eine tolle Frau, die aber die normale Fluchtroute mit nur einem Bein nicht geschafft hätte. Deshalb das Visum, und dieses Visum fällt ihr jetzt auf die Füße. Inzwischen hat ein Anwalt Widersprüch gegen die Rückführung eingelegt. Hilfe bekommt sie auch durch ihre Schwester, die schon lange in Deutschland lebt. Weil sie aber stark behindert ist durch eine Beinamputation, gibt es vielleicht eine Chance über Bestimmungen, die Behinderte vor Abschiebung schützt.

Das Verfahren wird jetzt viele Monate dauern, und vielleicht schafft sie es ja auch, hier bleiben zu dürfen. Aber es ist alles so zäh und langwierig, braucht soviel Zeit und kostet viel Geld. Dabei wäre sie eine wertvolle medizinische Kraft. Es gäbe genügend Stellen, wo sie dringend gebraucht würde. 

Letzte Hoffnung wäre ein Arbeitsvisum für Deutschland, mit dem sie nach einer Rückführung nach Spanien wieder zurückkehren könnte. Aber erst nach anderthalb Jahren.

herrsching.online: Solche Schicksale belastet doch auch die Helferinnen persönlich. Wieviel Resilienz braucht man, um in dieser Funktion nicht zu verzweifeln?

Rothbauer: Die Flüchtlinge müssten viel mehr verzweifeln als die Helfer. Vor kurzem wurde eine alleinerziehende Mutter mit ihren vier Kindern nach Nigeria abgeschoben. Die Ältesten standen gerade vor ihrem Schulabschluß. Sie wurden mit Polizeigewalt aus dem Leben hier gerissen. Ich finde das unmenschlich. Die nigerianische Familie, die zur Zeit in der Seestraße in Breitbrunn lebt, mit zwei Kindern, die kann nicht mehr schlafen, weil sie Angst davor hat, dass die Polizei nachts an ihre Tür klopft und sie mitnimmt. Aber es begegnet einem in diesen Heimen auch viel Lebensmut. Und die Herzlichkeit der Asylbewerber gibt einem auch viel zurück. Man lernt vor allem, dass man als Deutscher, der hier leben darf, dankbar sein muss für die Freiheit, die man hier leben darf. Wir sollten sie mehr schätzen.

1 Comment

  1. Mütter und ihre Kinder und wo sind die Väter? Ich habe die Väter in den Sprechstunden oft vermisst und nicht nur jene aus den Familien ohne deutsche Staatsbürgerschaft. Ich denke, wir brauchen ein besseres Einwanderungsgesetz, auf jeden aFall eines mit dem die Exekutive unseres Staates effektiver und verantwortlicher handeln kann. Auch die Verordnungen zum Gesetz der Gastarbeiter8n Deutschland aus nicht EU Länderny müsste angepasst werden. Und die private Wirtschaft mit ihrem 50 Jahre alten Problem der fehlenden billigen Arbeitskaeften könnte ja auch von den Firmen, den Aufsichtsräten und den *Investoren gelöst werden. Zur Zeit erledigen das die Kindergärtnerinnen und Grundschullehrerinnen. Oder irre ich mich da?

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