Er ist höflich, leise, fast liebevoll. Aber seine Forderungen sind fast systemsprengend: Der katholische Diakon Dr. Mario Koßmann will die Kirche von unten erneuern. Reformen von oben, sagt Koßmann, dauern zu lange. Warum traut er sich, unbequeme Wahrheiten öffentlich zu formulieren? Weil er Mut hat – und weil er unabhängig ist. Koßmann arbeitet im Hauptberuf als promovierter Luftfahrtingenieur in Oberpfaffenhofen bei einem Unternehmen, das in 2 Jahren einen Elektroflieger in die Luft bringen will. Und er glüht für seinen Glauben – glaubhaft. Er ist kein Funktionär des Himmels, er lebt nicht vom Salär aus der Kirchensteuer, sondern von seinem Ingenieursgehalt. Koßmann hat sich auch von der Ideologie des Militärs losgesagt: Mit Krieg, glaubt er, findet man keine Lösungen. Er weiß, von was er redet: Als junger Mann diente er in der deutschen und französischen Marine.
herrsching.online: Sie sind im Hauptberuf in einem Startup namens Lilium beschäftigt, das sich auch mit Himmelfahrt beschäftigt, nämlich ökologisch saubere Flugzeuge zu bauen. Haben Sie dort das Fortschrittserlebnis, das in der Kirche zur Zeit nicht zu bekommen ist?
Koßmann: Ja, dort geht’s gut voran. Ich kümmere mich bei dem Projekt eines elektrisch betriebenen Flugtaxis um Aspekte der Flugsicherheit und der Qualität. Wir haben sogar schon einen Demonstrator, der seit einiger Zeit sehr erfolgreich herumfliegt.
herrsching.online: Gibt es eine innere Verbindung zwischen dem Zivilberuf eines Luftfahrtingenieures und einer Berufung zum Diakon?
Koßmann: Wenn man an Gott glaubt, muss man das natürlich im Leben umsetzen. Das heißt, dass man in der Firma die Leute respektvoll und liebevoll behandelt. Es ist nun keine Überraschung, dass das in meinem Arbeitsumfeld sehr gut klappt. Es tut gut, wenn man so durchs Leben kommt. Mein Verhalten muss für die Kolleginnen und Kollegen authentisch wirken. Man sollte so handeln, wie es uns Jesus gezeigt hat im täglichen Leben.
herrsching.online: Wie reagieren denn die Leute in Ihrem Berufsumfeld auf Ihren Nebenberuf als Diakon?
Es gibt viele, die glauben, dass man verrückt sei
Koßmann: Das ist unterschiedlich. Da gibt sicher viele, die glauben, dass man verrückt sei. Es gibt aber auch viele, die sind positiv davon berührt, wie man versucht, durchs Leben zu gehen. Natürlich mache ich auch immer wieder Fehler, aber es geht darum, dass man versucht, mit Leuten gut umzugehen. Es gibt in der Arbeitswelt natürlich auch einige Menschen, die ihre Ellenbogen einsetzen, um Karriere auf Kosten anderer zu machen. Solche Leute sind auch nicht am Wohlergehen anderer Menschen interessiert.
herrsching.online: Früher gab es in Frankreich einmal das Experiment der Arbeiterpriester, die in den Firmen missionieren wollten. Muss man sich Ihre Arbeit auch so vorstellen?
Koßmann: Es geht weniger darum, dass man mit der Bibel durch die Firma rennt und den Leuten damit auf den Kopf haut. Man muss durch den Umgang mit Menschen Herzen öffnen, muss Leute zum Nachdenken bringen. Sie fragen sich irgendwann mal: Warum ist der immer so positiv, warum ist der so nett zu mir, obwohl er in der Hierarchie höher steht und einen anderen Titel hat. Weil wir Geschwister sind, muss man auf Augenhöhe kommunzieren, arbeiten und miteinander auskommen. So gehen aber nicht nur Christen durchs Leben. Es gibt auch viele respektvolle Menschen, die einen anderen oder überhaupt keinen Glauben haben.
herrsching.online: Sind Christen im Alltagsleben bessere Menschen als Agnostiker oder Atheisten?
Koßmann: Das kann man so überhaupt nicht sagen. Wir Menschen haben eine Anlage, und ich will mich da auch nicht ausschließen, dass wir in verschiedenen Kontexten plötzlich vergessen, was wir eigentlich machen sollten. Ein Beispiel ist das Verhalten am Steuer. Sobald sich manche Menschen ins Auto setzen, kann sich sehr schnell ändern, dass sie normalerweise nette, zuvorkommende Menschen sind. Nein, man muss daran arbeiten, und wenn man es mal nicht hinkriegt, muss man es das nächste Mal wieder versuchen.
herrsching.online: Ihr Lebenslauf ist ja so spannend und vielfältig, dass er für 2 Leben reichen würde.
Eine „chaotische“ Biografie
Koßmann: Einige Menschen würden beim Betrachten meiner Biografie „chaotisch“ sagen, weil mein Leben in unterschiedliche Richtungen ging. Einige Zeit war ich auch beim Militär. Aber das hat mich dahin gebracht, wo ich heute bin. Ich habe damals gemerkt, dass es nicht gut ist, wenn wir miteinander gewalttätig umgehen. Ich bin ein großer Befürworter der Gewaltlosigkeit.
herrsching.online: Sie waren Offizier in der französischen und der deutschen Marine…
Koßmann: Ja, ich habe in beiden Streitkräften gedient. Ich habe dabei gelernt, dass man immer glaubt, man sei auf der richtigen Seite. Aber es leiden immer Unschuldige, egal auf welcher Seite. Man stellt unschuldige Menschen auf der einen Seite gegen andere unschuldige Menschen auf der anderen Seite, deren Regierung vielleicht Sachen macht, die schlecht sind. Aber es leiden dann halt unschuldige Menschen. Krieg funktioniert nicht, um Lösungen zu finden. Deshalb bin ich ein Gegner von Gewaltanwendung und Krieg geworden. Ich frage mich deshalb manchmal, was ich da in meiner ersten Zeit im Berufsleben gemacht habe.
herrsching.online: Ist das ein Kapitel, an das Sie nicht mehr gerne erinnert werden wollen?
Koßmann: Ich glaube, es gehört zu mir, es waren wertvolle Erfahrungen. Ich habe viel über mich selbst gelernt.
herrsching.online: Ostern ist das Fest der Hoffnung. Haben Sie noch Hoffnung, dass die katholische Kirche die notwendigen Reformen aus eigener Kraft schafft?
Reformimpuls muss von unten kommen
Koßmann: Man darf die Hoffnung nicht aufgeben. Die Reformfähigkeit der Kirche kommt nicht von den Menschen, die in der Hierarchie der Kirche arbeiten. Das würde viel zu lange dauern. Der Reformimpuls kann nicht von oben kommen, sondern von unten.
herrsching.online: Neudeutsch heißt das Graswurzelbewegung. Sie haben in Herrsching ja schon mit einem spannenden Gesprächskreis angefangen.
Koßmann: Ja, aber wir haben den Kreis noch größer gezogen, es sind alle Leute willkommen, die etwas dazu beizutragen haben, die frustriert sind, oder die gute Ansätze mitbringen können. Wir pflegen einen offenen Gesprächskreis. Wir heißen alle Leute willkommen, die unterschiedliche Meinungen und Glaubensaspekte haben, die frustriert sind, die sonst kein Forum haben. Wir wollen diese Ansätze nicht nur zur Sprache bringen, sondern auch weiterverfolgen.
herrsching.online: Waren auch schon Gemeindemitglieder dabei, die mit dem Reformgedanken nicht einverstanden waren?
Koßmann: Wir hatten schon mehrere Leute, die anderer Meinung waren. Wichtig ist mir nur, dass man respekt- und liebevoll miteinander umgeht.
herrsching.online: Der Gesprächskreis „Die Kirche brennt“ hatte schon mal eine Nonne zu Gast, und auch eine Frau, die sich zur Priesterin weihen ließ. Solche Gesprächsteilnehmerinnen einzuladen, ist durchaus mutig.
Koßmann: Letztes Mal hatten wir eine Frau zu Gast, die in der Organisation „Ordensfrauen für Menschenwürde“ tätig ist. Davor hatten wir eine der 7 „Donaupriesterinnen“ bei uns, die auf einem Donauschiff illegal zur Priesterin geweiht wurden.
Die Kirche ist veränderungsresistent durch das Design der Organisation
herrsching.online: Wie kam das in der Gemeinde an?
Koßmann: Das kam sehr gut an. Die Leute haben sich für die Erfahrungen interessiert und wollten auch wissen, welchen Mut die Frauen aufbringen mussten, um auch die Konsequenzen dieser Weihe zu ertragen. Diese Priesterin wurde ja wie die anderen 6 exkommunziert. Sie lebt jetzt trotzdem ihren Glauben, so gut das eben geht. Aber es ist natürlich eine nicht zufriedenstellende Situation. Und es ist auch der falsche Weg, diese Menschen auszuschließen.
Diese ganzen Regeln sind ja darauf ausgerichtet, den Status quo zu erhalten. Das bedeutet, dass die Kirche veränderungsresistent ist durch das Design der Organisation. Darin liegt auch der Grund, warum Veränderungen immer sehr lange dauern. Deshalb muss der Veränderungsdruck von unten kommen.
herrsching.online An Ihrem Gesprächskreis ist ja auch Maria 2.0. beteiligt. Ist das so etwas wie die Opposition zur Amtskirche?
Der Gesprächskreis wirkt wie ein Ventil
Koßmann: In dem Gesprächskreis arbeiten verschiedene Leute mit, zum Beispiel Uli Spindler oder Martha Stumbaum, meine Frau und ich. Dieser Gesprächskreis wirkt wie ein Ventil, hier können wir offen aussprechen, was wir auf dem Herzen haben. Gott sei Dank gibt es ja auch viele Mitglieder der Amtskirche, die die notwendigen Veränderungen herbeiführen wollen.
herrsching.online: Gibt es da auch Konfrontationen mit konservativen Gemeindemitgliedern?
Koßmann: Ja, aber es war alles sehr respektvoll.
herrsching.onlineine: Wie kommt das bei der kirchlichen Obrigkeit an?
Koßmann: Sie hört zu, aber es tut sich nicht annähernd genug. Bischöfe haben sehr viel Macht. Aber einige wollen keine Veränderungen umsetzen, oder sie wollen, aber es fehlt ihnen der Mut. Und wenn das so ist, dann ist es schade. Auf jeder Ebene braucht es Courage, Änderungen herbeizuführen.
herrsching.online: Nun wird die deutsche Kirche in Rom ja sehr kritisch beäugt…
Koßmann: Was wir in Deutschland auf den Tisch legen, beschäftigt die Menschen überall auf der Welt. Natürlich gibt es immer auch Hardliner, aber es gibt auch überall Menschen, die Reformen fordern. Wir sind mit dem, was wir aus Deutschland fordern, weltweit nicht allein.