Pfarrer Ulrich Haberl: Bittere Verse in den dunklen Zeiten

„Kein Gott, der seinen Geist mal sendet und diesen Wahnsinn jetzt beendet?“

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Kann man in Zeiten von Krieg und Elend eine Narrenpredigt halten? Der evangelische Pfarrer in Herrsching meint: Ja. Ulrich Haberls gereimte Faschingspredigten haben längst Kultstatus. Er hatte auch für diesen kümmerlichen Rumpffasching in Pandemiezeiten eine gereimte Predigt vorbereitet. Und dann kam Putin. „Am Donnerstag noch mal alles über den Haufen zu schmeißen und neu anzufangen, war diesmal eine besondere Herausforderung“, sagte er zu herrsching.online. Aber selbst der Kreml konnte die 2022er-Narrenpredigt nicht kaputt machen: Pfarrer Haberl hat in 2 Tagen 86 Reime auf eine „verrückte Zeit gedichtet, in der man am Wochenanfang noch nicht weiß, welche Fragen uns am Sonntag auf den Nägeln brennen.“ Wir haben uns entschieden, diese Narrenpredigt für eine größere Gemeinde zugänglich zu machen. Pfarrer Ulrich Haberl:

Schweigen oder Schreien?

Liebe Gemeinde, Christen-Leute,
geht das? Ne Narrenpredigt heute?

Der Friede liegt vor uns in Scherben.
Unfassbar. In Europa sterben

Menschen wieder in einem Krieg.
Ein Potentat setzt dreist auf Sieg

durch militärische Gewalt.
Dem Narr´n wird innendrin eiskalt.

Brutal wird da ein ganzes Land
mit Krieg und Waffen überrannt.

Nein, Narr, heut ist kein Tag zum Scherzen
Heut bluten allen Narr´n die Herzen.

Bomben und Angst und Flucht und Not.
Die Demütigung und der Tod.

Das Recht getreten in den Schmutz.
Ein ganzes Volk lebt ohne Schutz.

Sirenen. Angst. Schlaflose Nächte.
Familien flieh´n in U-Bahn-Schächte.

Die Kinderseelen werden jetzt
zu hunderttausenden verletzt.

In rohen, gnadenlose Tagen
werden Wunden so tief geschlagen …

Wie soll es jemals Heilung geben,
Versöhnung, unbeschwertes Leben?

Es fehl´n die Worte. Besser Schweigen,
um stumm das Mitgefühl zu zeigen?

Der Narr sucht mühsam Wort um Wort.
dann wirft er sie gleich wieder fort.

Sie sind zu glatt, sind viel zu klein.
Doch dann möchte er wieder schrei´n.

Weil Unrecht doch zum Himmel schreit.
Der Narr fragt: Ist denn weit und breit

kein Gott, der seinen Geist mal sendet
und diesen Wahnsinn jetzt beendet.

Wir war´n so oft hier, dich loben
den guten Gott im Himmel droben.

Jetzt höre auch die Angst, das Fragen!
hör die Verzweiflung, hör das Klagen!

Wir bräuchten dringend deine Kraft,
die irgendwie den Frieden schafft,

dem Unheil in die Speichen fällt,
und die Ukrainer und die Welt

bewahrt. Sonst kommt durch diesen Krieg
die zynische Gewalt zum Sieg.

Sieg der zynischen Gewalt?

Im Kreml sitzt ein kalter Mann,
den menschlich nichts berühren kann.

Er ist auf nichts andres bedacht
als ausschließlich auf seine Macht.

Wer protestiert, wer sich aufbäumt,
wird brutal aus dem Weg geräumt.

Jetzt schickt Putin seine Soldaten
in einen seiner Nachbarstaaten.

Dort werden sie entweder sterben.
Oder sie müssen Mörder werden.

Leute, frei gewählt zu regieren,
will er eliminieren.

Dass er damit Völkerrecht bricht,
das kümmert den Diktator nicht.

Er glaubt mit Lüge und Intrige
erreicht man letztlich seine Siege.

Darum tritt er das Recht mit Füßen.
Wird er dafür noch einmal büßen?

Das Recht setzt der Macht eine Grenze.
Wer nur die eigne Macht zur Gänze

für wichtig hält, für´s höchste Ziel,
der hält vom Recht nicht wirklich viel.

Brüder im Ungeist

Der Putin ist, Gott sei´s geklagt,
der einz´ge nicht, der sich lossagt

von Achtung vor der Rechts-Kultur.
Vor einem guten Jahr grad nur

vereidigten die USA
den neuen Präsidenten ja.

Joe Biden wurde auserkoren.
Der Trump, der hat die Wahl verloren.

Doch weil von Macht er nie genug
bekommen kann, schrie er „Betrug!“

Niemals kann nämlich das Verlieren
ein Egomane akzeptieren.

Der Looser, Trump, war so entsetzt.
dass er mit Lügen den Mob hetzt

zum Sturmlauf auf das Kapitol.
Das ist das wichtigste Symbol

der ältesten Demokratie
der Neuzeit. Ich vergesse nie

die Bilder, wie die Trump-Proleten
das Parlament mit Füßen treten.

Überdeutlich war das Signal.
„Rechtsstaat ist uns total egal.“

Wen wundert´s, dass wir von Trump hören,
der Putin-Krieg würd´ ihn nicht stören.

Im Gegenteil: Der Trump verkündet,
wie genial er Putin findet.

Er findet ihn – Mir bleibt die Luft
weg! – nämlich „smart“ und „ausgebufft“.

Putin und Trump versteh´n sich blind,
weil sie im Ungeist Brüder sind.

Welch Glück, dass es die Amis blickten
und den Trump in die Wüste schickten.

Der Narr möchte sich nicht ausmalen
was jetzt los wär, hätt´ bei den Wahlen

zur Präsidentschaft Trump gesiegt.
Wobei der dann ´nen Schreck gleich kriegt:

Die Amis, hört man, könnten Biden
zum großen Teil schon nicht mehr leiden.

Man unkt, im Blick auf nächstes Mal
hofft Donald Trump auf Wiederwahl.

Ich will mir jetzt mal lieber schenken
an diese Möglichkeit zu denken.

Von einem Ungeist, der total verroht
ist, wird das Recht bedroht.

Die Welt aus den Angeln

Was wir im Fernseh´n täglich seh´n.
ist schrecklich und kaum zu versteh´n.

Die Welt, in der wir dummen, braven
Leute am Mittwoch eingeschlafen

ist wie aus den Angeln gehoben.
Entsetzt seh´n wir die Waffen toben.

Die Hoffnung war: Wirtschaft und Handel
fördern gesellschaftlichen Wandel.

Wenn wir uns wirtschaftlich verflechten
dann gibt es doch gar keine echten

Motive für Gewalt und Kriege.
Man feiert an der Börse Siege.

Die Hoffnung war Diplomatie.
Doch scheint jetzt, dass sich Putin nie

für einen Ausgleich intressierte,
während er Truppen stationierte.

Jetzt reibt man sich entsetzt die Augen.
Ich kann es immer noch kaum glauben.

Europa ist komplett verwandelt
Und ratlos fragen wir: Wie handelt

man jetzt? Kann man irgendwie bannen
den Vormarsch Putins, des Tyrannen?

Unsre Regierung muss entscheiden.
Sie ist wahrlich nicht zu beneiden.

Wenn du so ein Amt innehast
In diesen Zeiten ist´s ne Last.

Ich glaube, in der Kirche täten
wir gut daran, für sie zu beten.

Die Ampel will jetzt Waffen schicken.
Zuvor wollt´ man das lieber knicken.

Sanktionen hart oder mehr weich?
Ausschluss von SWIFT jetzt wohl doch gleich.

Muss man stark und massiv auftreten,
mit Militär droh´n und Raketen?

Oder muss man nachgiebig bleiben
und ja nicht in die Ecke treiben

den Putin, der es todernst meint
und zu allem entschlossen scheint?

Ein Narr, der sich nach Frieden sehnt

Ach, ich bin doch ein Pfarrer nur
der sich einmal im Jahr ne Spur

von Narrentum erlaubt. Von mir
wird man wohl nicht die Lösung hier

erwarten in so schweren Fragen
zu denen Krisenstäbe tagen.

Ich bin doch nur ein Narr, der sich
nach Frieden sehnt. Ich frage mich:

Wie man sein Leben so anfasst,
dass es zur Friedenssehnsucht passt?

Es geht dem Narr´n an dieser Stelle
mehr so um das Spirituelle,

um Haltung, inn´re Freiheit, Mut, …
Was ist da für den Frieden gut?

Es gibt da einen, sollt ihr sehen,
der hat recht närrische Ideen,

wie man den Frieden stiften kann.
Aus Nazareth kam dieser Mann.

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