Es hörte sich an wie eine donnernde Kanzelrede: Die Kienbach-Anwohnerin Karin Casasetto meldete sich in der Gemeinderatssitzung mit vier Fragen zum Baum-Sterben am Kienbach. Weil die Zuschauer in der Martinshalle auf der Empore sitzen, wirkte ihr Beitrag wie eine Bußpredigt von Bruder Barnadas – jede ihrer 4 Fragen hatte kommunalpolitische Sprengkraft. Bürgermeister Christian Schiller hörte zuerst geduldig zu und wies dann mit einer gewissen Schärfe die Vorwürfe zurück. Vielleicht war der Casaretto-Auftritt, der von der Umweltaktivistin Christl Voit flankiert wurde, die Geburtsstunde einer grünen außerparlamentarischen Opposition.

Karin Casaretto, 56, Fernseh-Journalistin und Regisseurin, weiß, wie man sich wirkungsvoll inszeniert. Damit ihr Auftritt über die Rede hinaus Wirkung erzeugte, hinterließ sie im Saale noch das Manuskript. Casaretto behauptete gleich zu Beginn, dass die Gemeinde von den Baumfällungen am Kienbach gewusst habe: „Sie hat die Anrainer nicht darüber informiert“, sagte sie und legte gleich nach: „Es wurden 5 Bäume gefällt, obwohl vom Wassserwirtschaftsamt nur 2 bis 3 Bäume vorgesehen waren. 2 Bäume sind offenbar Privatfällungen auf Kosten der Steuerzahler“, behauptet die Kienbach-Anwohnerin.

Weitere Vorwürfe galten dem Wasserwirtschaftsamt, das die Baumbeseitigung veranlasst hatte: „Vor den Fällungen wurden keine Artenschutzgutachten gemacht – weder vom Wasserwirtschaftsamt noch von der Gemeinde.“ Dann schlossen sich die 4 Fragen an, die sich wie die Agenda einer neuen Bürgerinititative anhörten:
• Setzt sich die Gemeinde für eine naturnahe Renaturierung des Kienbachs ein?
• Wann gibt es eine neue Baumschutzverordnung?
• Wird es für jeden gefällten Baum einen CO2-Ausgleich in Herrsching geben?
• Gibt es von der Gemeinde Maßnahmen gegen Hochwasser?
Bürgermeister Christian Schiller, frisch aus dem Urlaub zurückgekehrt und nervlich gestärkt, setzte zu einer großen Entgegnung an: „Die Gemeinde hat nichts von den geplanten Fällungen des Wasserwirtschaftsamtes gewußt“, sagte er mit Verve. Für die Beseitigung der Bäume sei nur das Weilheimer Amt zuständig.
Zur Baumschutzverordnung, die nicht nur die Bürgerin vom Balkon forderte, meinte Schiller: „Unsere alte Baumschutzverordnung war nicht rechtskonform. Die Rechtsaufsicht des Landratsamtes hat uns geraten, sie außer Kraft zu setzen.“ Eine neue Baumschutzverordnung würde den Verwaltungsaufwand erhöhen: „Wir bräuchten eine bis zwei neue Stellen im Rathaus, um die Verordnung durchzusetzen“, meinte er. „Das ist für eine Gemeinde von Herrschings Größe nicht machbar.“
Der alten Verordnung jedenfalls weint er keine Träne nach: „Von 10 Anträgen für eine Baumfällung mussten wir 9 genehmigen. Und die Ablehnung des 10. Antrags hat dann ein Gericht kassiert.“
Schiller plädierte dafür, dass man die Bürger motivieren müsse, alte Bäume zu pflegen und zu erhalten. „Da müssen wir Anreize schaffen.“
Mit der flammenden Rede von Karin Casaretto war der fundamental-grüne Beschuss aber noch nicht zu Ende: Die intellektuelle Anführerin der neuen Bürgerinitiative „Baum- und Bachfreunde Herrschings“, Christl Voit, beklagte, dass man den Wert eines Baumes nicht nur monetär sehen dürfe. Sie griff die beiden Firmen Treeconsult und Treevolution an, die in 90 Prozent aller Fälle – für Fällungen seien. Auch ihre BI-Genossin Ingrid Donhauser, beklagte, in Herrsching würden zu viele Bäume gefällt.
Dazu meinte Schiller, die Gemeinde gebe einen sechsstelligen Geldbetrag aus, um auch kranke Bäume zu erhalten oder um „lebensverlängernde Maßnahmen“ durchzuführen.
Auch in der Stadt Herzogenaurach (23.000 Einwohner) gibt es seit Jahren eine rechtskonforme Baumschutzverordnung. Der Arbeitsaufwand für die Durchführung der Baumschutzverordnung (Beratung, Bearbeitung der Anträge, Kontrolle der Ersatzpflanzungen, etc.) wird seitens der Sachbearbeiterin auf 6 Arbeitsstunden pro Woche beziffert. Jährlich werden 50-60 Anträge bearbeitet (80% Fällungen, 20% Rückschnitt). Davon werden 15-20% abgelehnt. Auch hier wurde in den letzten Jahren gegen keine Ablehnung geklagt.
Ohne eine entsprechende Baumschutzverordnung werden in Herrsching die Abholzaktionen weitergehen. Es stellt sich die Frage, warum keine der Fraktionen im Gemeinderat einen Antrag auf Neuerlass einer Baumschutzverordnung einbringt? So findet sich auf der Homepage der Herrschinger Grünen unter dem Datum 07.02.2021 der Punkt „Initiative Baumschutz“. Zitat aus dem Text.:“Höchste Zeit, dass wieder eine rechtsgültige Satzung erlassen wird“! Und in einem Bericht auf Herrsching. Online über Baumfällaktionen äußerte ein Gemeinderat der Grünen-Fraktion: „Fast monatlich wird in den Treffen anlysiert, was für einen Schaden die Abschaffung dieser Verordnung gebracht hat und man überlegt, was zum besseren Schutz der Bäume getan werden kann.“
Wie wäre es zum Beispiel mit einem Antrag auf Neuerlass einer Baumschutzverordnung?
Bei den Themen Baumfällungen und Baumschutzverordnung liegen bei Herrn Schiller offensichtlich die Nerven blank. Seine Behauptung, zur Umsetzung einer Baumschutzverordnung seien 1-2 zusätzliche Stellen im Rathaus erforderlich ist meines Erachtens völlig aus der Luft gegriffen. Hier lohnt sich ein Blick in andere Gemeinden. Die Gemeinde Neufahrn bei Freising (ca. 20.000 Einwohner) arbeitet seit Jahrzehnten mit einer Baumschutzverordnung. Diese ist rechtskonform und wurde laufend aktualisiert. Auch dort ist das Sachgebiet Umwelt mit 1 Planstelle ausgestattet. Pro Jahr werden dort ca. 50 Anträge auf Baumfällung bearbeitet. Durchschnittlich 10 Anträge werden abgelehnt und in den letzten Jahren wurde gegen keine einzige Ablehnung geklagt.Laut Aussage der zuständigen Sachbearbeiterin in Neufahrn ist durch die Umsetzung der Baumschutzverordnung das Arbeitsaufkommen in den letzten Jahren nicht gestiegen.
Aber an Fakten scheinen die Gegner einer Baumschutzverordnung nicht interessiert zu sein.
Die Arroganz, mit der Herr Schiller gegenüber Frau Casasetto und sogar gegenüber einer Gemeinderätin glänzte, war nicht zu überbieten. Ist Herrn Schiller nicht mehr bewusst, dass er als aus Steuermitteln bezahlter Bürgermeister Dienstleister für die Bürger der Gemeinde ist? Im Übrigen: die „Balkonsprecher“ mussten mangels Mikrofon Ihre Beiträge und Fragen laut rufend vorbringen. Geht das anders auch oder ist das Absicht?