Es war eine venezianische Auffahrt: Die Braut kam im Ruderboot zum Standesamt – Herrschings Promenade hatte sich in der letzten Maiwoche des Jahres 1999 in eine Lagune verwandelt. Das Kurparkschlösschen mit dem Standesamt sah aus wie ein Palazzo am Canale Grande. 122 Zentimeter über Normal stand das Ammerseewasser – Uferpromenade, Sportplatz und Kurpark hatte sich der See zurückgeholt. Für die Herrschinger Archivarin Dr. Friederike Hellerer, ausgestattet mit dem längsten Gedächtnis der Seegemeinde, nichts Ungewöhnliches: „Das Hochwasser ist in Herrsching alle 10 Jahre an der Kippe.“ Die Historikerin besitzt einen ganzen Kasten mit Bildern, auf denen Land unter dokumentiert ist.

Schuldig an den Hochwassern ist nicht nur der See, sondern auch die Geologie: „In unseren Voralpen-Moränen gibt es wasserundurchlässige Tonschichten, die dem Sickerwasser den weiteren Weg ins Erdreich versperren“, erklärt die Archivarin Dr. Hellerer. „Deshalb schießt bei Starkregen das Wasser in Erling förmlich aus den Hängen.“ Es ist, als schwitze das Erdreich die Wassermassen aus. Dieses Sickerwasser schießt dann in den Kienbach, der sich vom Rinnsal in einen reißenden Bach verwandelt. Friederike Hellerer hat in ihrem Archiv Urkunden aufbewahrt, die von einem unvergesslichen 1. Juli 1885 berichten: An jenem Tag stieg das Wasser in dem sonst so friedlichen Bächlein auf 5 Meter an und räumte alles ab, was sich ihm in den Weg stellte.

Damals allerdings, so weiß Friederike Hellerer von einer Karte aus dem Jahre 1809, war das Bächlein noch nicht domestiziert – es durfte in großen Schleifen durch das Örtchen mäandern. Die Gemeinde Herrsching bestand aus ein paar Dutzend Bauernhöfen, die auf ihren Feldern genug Auslauf für den überquellenden Bach boten. Als zu Beginn des 20. Jahrunderts eine Bahnverbindung nach Herrsching gebaut wurde, musste das natürliche Bachbett dem Fortschritt weichen – es wurde begradigt und südlich des neuen Bahnhofs Richtung See geleitet.
In den letzten 60 Jahren kennt das Herrschinger Archiv zwei große Hochwasser-Ereignisse: 1965 machte sich der Ammersee so breit, dass alle ufernahen Wege, Straßen und Geschäfte unter Wasser standen. „Solche Ereignisse passieren meist um Pfingsten herum“, weiß Friederike Hellerer. Im Mai oder Anfang Juni trägt die Schneeschmelze in den Bergen große Wassermassen über die Ammer in den See. Wenn wir dann noch strammen Westwind haben, werden die Wassermassen ans Ostufer gedrückt, und der Kienbach, Fischbach und Fendlbach stauen sich zurück“, weiß Dr. Hellerer. „Bei solchen Wetterlagen kann sich sogar die Fließrichtung des Fischbachs, der vom Pilsensee zum Ammersee fließt, ändern. Dann fließt das Wasser in den Pilsensee.“

Dieses Ereignis ist im gemeindlichen Gedächtnis „prähistorisch“, vielen älteren Einwohnern Herrschings aber ist das Hochwasser am 23. Mai 1999 noch in Erinnerung. Aus dem Sportplatz an der Madeleine-Ruoff-Straße ragen nur noch die Tore heraus – man könnte meinen, hier werde Wasserball gespielt. In der Summerstraße waren alle Keller vollgelaufen, aus den Steckdosen schoss das Wasser heraus. Der Seehof war ein Hof mit See, in den Geschäften schwamm die Ware herum.

2005 bekamen die Einwohner von Lower Breitbrunn nasse Füße. Der Weg zum Königsberg hatte sich in einen reißenden Bach verwandelt, das Wasser schoß die Wörthsee- und Hauptstraße runter und richtete im Autohaus Wagner reichlich Schaden an.
2016 geriet der Fendlbach, der irgendwo in Rausch entspringt, außer Rand und Band, Lochschwabs Keller verwandelten sich in Aquarien. Friederike Hellerer sah mit eigenen Augen, wie in Rausch das Wasser förmlich aus dem Acker schoss, als habe jemand einen Springbrunnen angestellt. „In Breitbrunn und Wartaweil hatte es nur getröpfelt, über Rausch und Lochschwab hatten sich die Himmelsschleusen geöffnet“, erzählt Hellerer. Diese lokalen Starkwetter-Lagen weisen auf den Klimawandel hin. Friederike Hellerer: „Der kommt nicht, der ist schon da“, sagt sie. Und die arme Feuerwehr muss das alles ausbaden – „ihre“ Feuerwehr, denn sie ist gern gesehene Untermieterin im schönen neuen Feuerwehrhaus. Herrschings historisches Gedächtnis sitzt im Keller.
Größere Unwetterlagen im Gemeindegebiet: Übersicht der Feuerwehr Herrsching
21. bis 29. Mai 1999 Hochwasser Ammersee nach Starkregen mit 200 Liter pro Quadratmeter in 2 Tagen
4. bis 7. Mai 2000 Hagelunwetter in Herrsching, 78 Einsätze
18. und 19. Mai 2002 Hagelunwetter in Wartaweil, 34 Einsätze
4. bis 6. März 2006 Schneechaos, 40 Einsätze
18. und 19. Januar 2007 Sturmtief Kyrill zieht über den Ammersee, 8 Einsätze
29. Mai 2007 Starkregen, 8 Einsätze
2. bis 6. Juni 2010 Starkregen, 11 Einsätze
6. Januar 2012 Sturmtief Andrea, 5 Einsätze
2. bis 6. Juni Drohendes Hochwasser Ammersee nach Starkregen, 8 Einsätze
April 2015 Sturmtief Niklas, 3 Einsätze
25. bis 27. Juli 2016 Starkregen, 85 Liter, der Fendlbach läuft über, 85 Einsätze
- August 2017 Unwetter mit Zyklon in Widdersberg, 42 Einsätze
3. Januar 2018 Sturmtief Burglind, 9 Einsätze
10. und 11. Februar 2020 Sturmtief Sabine, 18 Einsätze