Und nun, Frau Neubauer? Wie viel Dank gibt's in der Politik für einen erfolgreichen und doch gescheiterten Wahlkampf?

„Ich mache nicht mit bei den Absprachen“

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Vae victis, sagten die Römer – wehe den Besiegten. Was macht eine Bundestagskandidatin, die trotz eines erfolgreichen Wahlkampfs mit leeren Händen dasteht? Die Kandidatin der Grünen im Wahlkreis Starnberg-Landsberg, Martina Neubauer, hat 18 Prozent der Zweitstimmen geholt – und im Bundestag sitzt die junge SPD-Frau Carmen Wegge mit gerade mal 15 Prozent. Wie frustriert, wie beschädigt ist man nach einer solchen Lektion Ungerechtigkeit?

herrsching.online: Was war in Ihrem Wahlkampf das schlimmste und das eindrucksvollste Erlebnis?

Neubauer: Die Listenaufstellung war echt ein schlimmes Erlebnis, aber das hatte ja im engen Sinn nichts mit dem Wahlkampf zu tun. Mein schlimmstes Erlebnis war eine Podiumsdiskussion in einer Privatschule, in der die jungen Leute applaudiert haben, wenn’s gegen das Tempolimit ging oder gegen Steuergerechtigkeit. Ich hatte den Eindruck, den jungen Menschen ging es nicht um die Bedrohung durch den Klimawandel, sondern um ihre eigenen Interesssen. Da haben wir wieder das Solidaritätsthema, mit dem wir uns als grüne Partei auseinandersetzen müssen.

herrsching.online: Mit der Listenaufstellung der Parteien, die ja eigentlich über Sieg oder Niederlage entscheidet, waren Sie offenkundig nicht einverstanden. Was lernt man aus diesen nicht sehr transparenten Listen-Kungeleien?

Neubauer: Was man aus dieser Listenzusammenstellung lernt? Dass die Aufstellung strategisch anders angegangen werden muss.  Die Kriterien, die man im Vorfeld vereinbart hat bei  der Aufstellung der Listen, müssen dann auch eingehalten werden. Die oberbayerischen Grünen haben kein Votum abgegeben für ihre Kandidatinnen und Kandidaten und sich so gegenseitig geschwächt.

herrsching.online: Gibt es einen grünen Filz?

Neubauer: Ich weiß es nicht. Jedenfalls bin ich nicht in den internen Zirkeln. Ich habe einfach darauf vertraut, dass meine Parteifreunde meine Kompetenz schätzen und ich nicht in irgendwelchen Zirkeln mitmischen muss.

herrsching.online: Man könnte ja von Annalena Baerbock lernen. Sie soll angeblich sehr gut vernetzt gewesen sein in der Partei, besonders bei den weiblichen Mitgliedern.

Neubauer: Ich glaube sagen zu können, dass ich auch sehr gut vernetzt bin, aber ich mache einfach nicht mit bei den Absprachen. Vielleicht ist das mein Fehler.

herrsching.online: Wahlkampf ist nicht nur psychologisch, sondern auch körperlich fordernd?  

Neubauer: Von Juni bist September habe ich mit dem E-Auto 2300 Kilometer zurückgelegt und 50 Termine absolviert, die Haustürwahlkämpfe gar nicht mitgerechnet.

herrsching.online: Können Sie sich eine weitere Kandidatur vorstellen?

Neubauer: Fragen Sie mich das in einem halben Jahr. Ich muss mich jetzt erst einmal erholen.  Auf lokaler Ebene werde ich sicher noch mal auftauchen und vielleicht auch noch einmal antreten.

herrsching.online: Sie haben ein hervorragendes Wahlergebnis im Wahlkreis geholt, aber trotzdem auf verlorenem Posten gekämpft. Auf einem Listenplatz 31 hätten die Grünen einen Erdrutschsieg gebraucht, damit Sie über die Liste in den Bundestag kommen. Stellen Sie sich eigentlich manchmal vor, wenn Habeck als Kandidat einen makellosen Wahlkampf hingelegt hätte? Säße Martina Neubauer jetzt im Bundestag, wenn Robert…. Träumen Sie doch mal.

Neubauer: Gegen den CSU-Direktkandidaten Kießling hatten wir realistisch keine Chancen. Aber über die Liste wäre bei einem grandiosen Ergebnis in Bayern vieles möglich gewesen. Wir wollen aber nicht vergessen –  wir haben ja ein tolles Ergebnis eingefahren.

herrsching.online: Wenn Sie das Ergebnis der Zweitstimmen im Wahlkreis angucken, müssten Sie eigentlich resignieren. Die SPD-Kandidatin Carmen Wegge sitzt jetzt mit einem Zweitstimmen-Ergebnis von 15,86  Prozent im Bundestag, und Sie haben 18,13 Prozent der Zweitstimmen erhalten. Da könnte man doch an der Logik des Wahlrechts verzweifeln…

Neubauer: So ist das mit den Listen. Wenn ich einen Platz 18 auf der Bayern-Liste bekommen hätte, wäre ich auch drin.

herrsching.online: Man könnte auf den schrägen Gedanken kommen, dass da was mit dem Wahlrecht nicht stimmt.

Neubauer: Ein Freund hat mir eine Auswertung geschickt, nach der ich bundesweit auf Platz 25 mit dem Erststimmen-Ergebnis gelandet bin. Fragen Sie mich aber nicht zur Wahlreform… ich glaube, viele Bürger haben nicht verstanden, was der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme ist. Die Wahlsysteme bei uns sind so unterschiedlich, dass man das den Bürgern auch nachsehen muss.

herrsching.online: Eine Wahlrechtsreform entbindet die Grünen in Bayern ja nun auch nicht von der Pflicht, pfleglicher mit Persönlichkeiten umzugehen…

Neubauer:  Wir müssen die Kriterien für gute Kandidatinnen und Kandidaten festlegen und auch  Persönlichkeiten suchen, die Wahlkreise gewinnen können.

herrsching.online: Ist das starre Kandidaten-Schema Frau, dann Mann, dann wieder Frau, dann wieder Mann bei der Suche nach Persönlichkeiten nicht hinderlich?

Neubauer: Das ist kein starres Schema. Es geht so: Frau – offener Platz. Das Prinzip erster Platz Frau, zweiter Platz offen ist ja immer noch notwendig, um jungen Frauen Mut zu machen, sich als Kandidatin zu trauen. Ich verstehe mich als Mutmacherin für junge Frauen.

herrsching.online: Sie haben in Herrsching in den Gegenden sehr gut abgeschnitten, in denen die Villendichte besonders hoch ist. Sind die Grünen die Öko-FDP für die Besserverdienenden?

Neubauer:  Wir haben auch in Landsberg und Germering, wo die Bevölkerungsstruktur anders ist als in Herrsching, gut zugelegt. Wir konnten auch viele junge Familien ansprechen. Und in Herrsching geht es den Leuten wahrscheinlich generell etwas besser als anderswo.

herrsching.online: Was machen die Grünen aus dem guten Wahlergebnis im Kreis und in den Orten des Landkreises?

Neubauer: Weiter gute Politik…

herrsching.online: …geht’s ein bisschen konkreter?

Neubauer:  Wir werden der CSU jetzt zeigen, dass wir einen großen Gestaltungsanspruch haben. Im Landtag hat es die CSU schon verstanden. Dort sagen die wichtigen CSU-Leute, dass man mit den Grünen reden muss, wenn man Dinge voranbringen will. Das hat man auch hier auf dem Eichenallee-Fest in Seefeld von der Minsterin und vom Landrat gehört, die von Artenvielfalt, von Radwegen und anderen wichtigen grünen Projekten gesprochen haben.  Ohne uns geht nix mehr.

herrsching.online: Hat sich die Wahlkampf-Ochsentour für Sie persönlich gelohnt, obwohl Sie zum Schluss mit leeren Händen dastehen?

Neubauer: Ja. Ich habe wieder wahnsinnig viel gelernt.

herrsching.online: Sehen wir Sie in 4 Jahren noch einmal „in der Bütt“?

Neubauer: In vier Jahren? Wer kann das wissen. Vielleicht verändere ich mich auch noch einmal beruflich.

4 Comments

  1. Liebe Martina, wie Du mit Deiner „persönlichen Wahlniederlage“ umgehst zeigt Dein großes Format. Andere würden verbittert das Handtuch werfen. Wir vom OV Grüne Herrsching haben Dich in unserem gemeinsamen Bestreben, ein gutes Wahlergebnis einzufahren als in der Sache kompetente, menschlich herzliche und kämpferische Frau erlebt. Das war auch für uns sehr motivierend!
    Ich schließe mich dem Beitrag von Ruth Paulig mit dem Satz „…kluge Köpfe werden in der nächsten grün-schwarzen Regierung in Bayern gebraucht!“ an. Bayern mit den zukünftigen gewaltigen Herausforderungen braucht so Menschen wie Dich.
    Jetzt wünschen wir Dir erstmal, Deinen grünen Akku wieder aufzuladen, die spannenden Koalitionsverhandlungen vom Sofa aus zu beobachten und dann mit neuer Energie die Politik hier im Landkreis mitzugestalten.

  2. Ich war bei der Aufstellungsversammlung und hatte mich beworben mit der Aussage „die schon so lange im Bundestag sitzen sollen endlich Platz machen für Neue und frischen Wind“.
    ZB. Claudia Roth, Hofreiter, Deligöz..
    Das Ergebnis basisdemokratisch? Eher CSU mäßig.

  3. Die Sitze im Parlament werden nach bestimmten Verfahren vergeben, die alle eine Chance für die „kleinen“ Parteien (oberhalb der 5%-Hürde) bieten. Wir sollten nicht vergessen, dass grad wir Grüne davon bisher meistens profitiert haben!
    Als ich zum ersten Mal Zuschauerin bei einer Listenaufstellung gewesen bin, war ich tief schockiert über den erbitterten Kampf in den eigenen Reihen. Seitdem grüble ich über das Thema – aber mir ist nix wirklich Gutes eingefallen bis vielleicht auf den Vorschlag, Panaschieren und Kumulieren in der gesamten Republik für alle Wahlen einzuführen …

  4. Liebe Martina, auf meinem Anrufbeantworter war eine Nachricht einer Freundin: „mir kommen die Tränen, wenn ich seh, dass Martina kein Mandat erhalten hat.“ Genauso geht es mir! Deine Kompetenz, dein erfrischend sympathisches, gewinnendes Auftreten…. duemmer kann eine Aufstellungsversammlung eigentlich nicht entscheiden! Liebe Martina, kluge Köpfe werden in der nächsten grün-schwarzen Regierung in Bayern gebraucht! Da bist du dabei….aber jetzt erstmal erholen. Danke dir und alles Liebe, Ruth

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