Scheineilig am Altar: Johannes, Martin und Vater Stefan Hegele

Der Gasteig des Fünfseenlandes

5 mins read

Kirche und Kultur waren nicht immer Blutsverwandte: In Breitbrunns Pyramidenkirche Heilig Geist wollen engagierte Bürger jetzt wieder den Geist von Kunst und Kreativität beleben. Statt Bibel Blasmusik, statt Zeremonie Ziehharmonika: Die Scheineiligen – hat irgendjemand die Ironie dieser Auswahl bemerkt? – Martin, Johannes und Stefan Hegele aus Schwaben rockten beim letzten Konzert das Gotteshaus mit ihrem TradiMix. So voll war die Kirche schon lange nicht mehr.

Die Programmauswahl der Kulturkirche zwischen Schul- und Jaudesbergstraße besorgt eine Profi-Musikerin: Marie-Josefin Melchior. Die gebürtige Breitbrunnerin („Ich habe  meine eigene Taufe und Firmung in der Heilig-Geist-Kirche erlebt”) ist studierte Tonmeisterin. Was sich technisch anhört, verlangt hohes Musikverständnis und handwerkliche Präzision am Rechner: Melchior macht aus Tonaufnahmen großer Orchester ein Gesamtkunstwerk für CDs und Rundfunksendungen. Ein Kritiker der SZ nannte sie einmal die „Sammlerin der schönen Momente”.

Die Programm-Macherin der Kulturkirche in Breitbrunn: Marie-Josefin Melchior will Kultur für die ganze Region machen

Viele glückliche Momente will die Breitbrunnerin aber nicht nur einheimischen Ohren bescheren. „Wir wollen mit unserer Kulturkirche kulturelle Impulse für die ganze Region setzen”, sagt sie mit professionellem Ehrgeiz. Heilig Geist soll keine Brettlwerkstatt für bemühte Amateure und drittklassige Profis sein, sie könnte der Gasteig für das Fünfseenland werden.

Die Kirche war bei ihrer Planung schon für Dual Use ausgelegt: Ein Gotteshaus mit 350 Sitzplätzen wäre denn auch für ein 1700-Seelen-Dorf  zu groß geraten, sieht man mal von Heilig Abend und Osternacht ab. Hier sollte Breitbrunns Herz schlagen, wenn der Kiosk am See geschlossen hat.

Gespielt wird künftig, „was den Kirchenraum nicht entweiht” (Pfarrer Simon Rapp). Melchior will mit ihren Initiatoren um  Benedikt Billig, Jan Grunwald, Richard Kaindl und Christoph Welsch alle Genres bedienen: Am 6. Oktober steht sie selbst am Altar mit ihrem Partner als „KlangZeit”, am 27. Oktober gastiert der Zauberer und Comedian Ben Profane und am 17. November gratulieren Peter Weiß mit den 5 Cellisten Christian Morgenstern zum 150. Geburtstag.

Benedikt Billig aus dem Organisatorenkreis heizte die Spendenfreudigkeit an

Das Konzert der Scheineiligen sahen 130 Besucher – mehr hätte das Corona-Regime auch garnicht geduldet. Vater Stefan Hegele walkt mit einem blechernen Monstrum, dem Helikon, auf die Bühne, hier: an den Altar, Martin kommt mit zwei Ziehharmonikas und Johannes mit Kappi und Trompete. Die drei Hegeles mit ihrem sympathischen schwäbischen Zungenschlag haben sich dem TradiMix verschrieben – wobei Schreiben auch wieder falsch ist, denn Martin, das Kreativ-Köpfchen der Band, kann keine Noten lesen. Alles, was die schwäbischen Temperaments-Tonschöpfer kreieren, bleibt so ungeschrieben wie die Trauermetten im Vatikan, die der kleine Amadeus aus dem Gedächtnis heraus zu Papier gebracht hatte.

Aber mit Trauer hat das alles nichts gemein, was die Eiligen aus Quetschkommode, Trompete und der Ringel-Tuba pressen. Das Programm nennt sich „Lauf Müller lauf”, und der läuft noch schneller als der Schweiß der Musiker. Mit Volksmusik aus dem schwermütig-schwäbischen Gemüt haben die galoppierenden Rhythmen eigentlich nix, ja Tradi-nix zu tun, obwohl die Drei verkünden, sie kämen schon von der tradierten Volksmusik. Wo aber bei der Volksmusik Strenge bei Text und Melodie herrscht, feiert bei den Scheineiligen in den Proben die spontane Eingebung Orgien. Auf die Melodien von Martin setzen Helikon und Trompete ihre Arrangements drauf.

Das Helikon spielt der Papa: Power aus der runden Tuba

Die drei haben 2019 den Karriere-Boost durch den Fraunhofer Volksmusik-Preis bekommen. Der Kritiker der SZ: „Sie trauten sich am meisten und konnten das auch musikalisch am überzeugendsten umsetzen. Etwa wenn sie den per Megafon in die Grammofon-Zeit zurückgebeamten Dreißigerjahre-Schlager Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt, auf Hubert von Goiserns Hiatamadl rauslaufen ließen oder Das Wandern ist des Müllers Lust mit Bon Jovis Runaway kreuzten.

Wieviele „Kreuzer” dann in der Sammelbox am Ausgang lagen, ist das streng gehütete Geheimnis der Organisatoren. Irgendwann, wenn nicht gleich, will die Kirchenstiftung aber auch partizieren an den Milden Gaben. „Dann werden wir nicht umhin kommen, einen eigenen Verein Kulturkirche zu gründen”, blickt Marie-Josefin Melchior in die Zukunft. Kirchenpfleger Christoph Welsch hatte ja schon zu Beginn der großen Spendensammlung fürs marode Kirchendach angedeutet: Allein kann die Kirche den Unterhalt nicht mehr lange stemmen.

So entspringt aus finanzieller Enge kulturelle Weite.

Aktuellste Meldungen

Sie sagt „Ja”

Sie hat „Ja” gesagt: Susanne Hänel wird als Nachrückerin für Claudia von Hirschfeld in den Gemeinderat

Anzeige

Frühlingserwachen am Ammersee