• Der Profi Andi Lachauer zelebriert auf seinem Foil-Windsurfer eine Duck Jibe
  • Deutschlands spektakulärste Kulisse für Wassersportler: der Walchensee Foto: Gerd Kloos
  • Endlich Badewetter
  • Die Foilwindsurfer sind dreifach so schnell wie die Segler. Die haben dafür immer ein kühles Bier an Bord Foto: Gerd Kloos
  • Das kleine Flügelchen unterm Surfboard ermöglicht hohe Geschwindigkeiten und spektakuläre Sprünge Foto: Gerd Kloos

WASSERSPORT AM WALCHENSEE

15 mins read

VON STEVE CHISMAR

Unser Ammersee ist ein Ampelsee: Die Windampel steht leider oft auf Rot. Dann zieht die Windsurf- und Kite-Community 80 Kilometer weiter nach Süden zum Walchensee. Einer der besten Kenner des Alpen-Traums war der Autor Steve Chismar, der viel zu früh verstorben ist. herrsching.online möchte ihm mit seinem eigenen Artikel über den Walchensee ein Denkmal setzen. Seine ersten Sätze schon sind voller Poesie:Der Alpensee ist ein Traum, so grün wie ein Smaragd und so rein wie Quellwasser. Der Wind ist sein Atem, kühl und lebendig. Die Sonne sein Herz im Puls der Zeit. Dass der Walchensee ein Ort von Mythen und Monster, Bomber und Autowracks ist, wissen die wenigsten Wassersportler.”

Der Walchensee als kalte, erbahmungslose Falle: dunkel, depressiv, verschlingend, wie der Riesenwaller, der in den unendlichen Tiefen des Sees weilen soll. Der Walchensee hat eben auch sein Ungeheuer, den Walchensee-Nessy. Tod und Untergang überall –  so in etwa Zeit-Autor Willy Winkler über seinen Walchensee.

Mein Walchensee ist schillernd, fröhlich, wie seine Wasserfarben, wie seine tanzenden Schaumkronen und sein königlicher Rundumblick vom Heimgarten, über das Estergebirge, zum Wetterstein, dem Karwendel und hinüber zu den sanft rollenden, dunklen Isarbergen – Kanada in Bayern. Mein Walchensee ist die pure Freude, ist Leben. Deswegen lebe ich hier. Vielleicht schwimme ich gerne auf der Oberfläche, tänzle gerne mit meinem Flattermann über gekräuseltes Türkis, bin Kiter und Surfer, nicht Taucher und wusele nicht in den flüssigen Eingeweiden nach Geschichtskadavern herum. Muss man immer in tiefen Wunden der Vergangenheit rühren? Therapeutisch sicherlich zweckmäßig. Aber bitte nur in Häppchen. Ok, letztes Jahr ist auch ein Kiter in Zwergern, dem Kite-Beach am Westufer, ertrunken. Nicht beim Kiten, beim Schwimmen. Herzversagen. Eine Tragödie für seine Nächsten. Ein Detail in der Geschichte des oberbayrischen Sees, der seinen Namen den fremden, romanischen Völkern (den Walchen) verdankt, die sich einst am See niedergelassen haben (und nicht, wie oft behauptet, von der altertümlichen Bezeichnung Wallersee und dem Waller – der Kiter verschlucken kann).

Wer mit seinem Bike und Kite von Urfeld am Nordufer Richtung Sachenbacher-Bucht fährt, der kommt auch unweigerlich an einer Stelle vorbei, wo Taucher nach einem alten VW-Golf-Wrack suchen. Der See holt sich seine Opfer, wenn er braucht, schreibt Winkler. Und wenn es sein muss, nimmt er sich drei Nonnen, die hier am 18. August 1971 verunglückt und ertrunken sind. Ihre langen Umhänge wurden ihnen zum Verhängnis. Sagt man. Andere haben es lieber gemütlich und sterben in aller Ruhe zuhause. Ordensschwestern sterben nicht einfach im Walchensee. Und doch, es ist so. Die Beschwörung der Himmelsmacht kommt zu spät. Oh Gott, du Walchensee. Keine Angst, es kommt noch grusliger. Aber vorher noch in Sachenbach die Windsurfer grüßen: „Sävaas“! Da glotzen sie, die surfenden Urgesteine mit grauen Schnauzern und Riesen Lappen als Segel. Nichts für ungut. Am oberen Ostufer liegt der zweite Kite-Beach, ein felsiger Strand mit kleiner Wetterstation. Zuvor quert man eine Bucht, wo Wickie und die starken Männer gedreht wurde – eine Landschaft wie in den Fjorden Norwegens zur Wikingerzeit: Verwinkelte Wasserstraßen umsäumt von dunklen Wäldern, hohen Bergen und im Hintergrund… Kiter. Und genau die waren ein Problem für die Filmemacher. Wenn die Sonne am höchsten stand, zog der thermische Wind die Neuzeitsegler an wie die neugierigen Zuschauer beim Dreh im künstlich angelegten Wikingerdorf. Aber die Technik löscht problemlos den schönsten Part des Drehs am Horizont. Kiter? Gibt es nicht.

Die Geschichte kann man aber nicht so einfach weglöschen. Ich meine, Kiter, die gehören jetzt neben den Surfern zum Bildidyll des Sees, wie Schmetterlinge auf einer Almwiese. Wer braucht schon den Gardasee, wenn man den Walchensee hat? Wer seine Flugobjekte über den See lenkt, sollte aber auch wissen, das fast 200 Meter unter ihm der besagte Walchenseewaller ruht, der Riesen-Wels, der an stürmischen Tagen an die Oberfläche kommen soll und sich hier und da ein Häppchen Kiter gönnt. Der ideale Mittags-Snack. Ich hab ihn noch nicht gesehen. Zum Glück. Aber ich habe auch nicht den Aero Commander 680 gesehen, der am 27. Dezember 1978 in den See gestürzt ist. Der 39-jährige Pilot und Unternehmer aus Essen hatte wohl der Blitz – der Blitz im Dezember? – getroffen. Naja, der Walchensee hat ja was Heiliges, Anziehendes. Ein tiefes Grab, das tiefste Deutschlands übrigens. Das dachte sich wohl auch der Pilot einer RAF Lancester, der nach einem Abschuss durch den Nachtjäger Hauptmann Rudolf Sigmund mit seiner Messerschmitt über der Jachenau, den Walchensee als Notlandeplatz auserkoren hatte. Der Feuerball mit seinen zehn Insassen zerschellte in der Niedernacher-Bucht am Südufer, wo selten ein Kiter umherschwirrt. Schon gar nicht 1943. Den reichen Fischbestand des Sees hat das nicht sonderlich gestört. Den Waller auch nicht. Heute suchen Taucher noch nach Wrackteilen der Lancester und einer Messerschmitt, nicht die vom braven Hauptmann Rudolf Sigmund, denn der ist südlich von Göttingen von der eigenen Flak einige Tage später abgeschossen worden. Aber sonst kannte der Walchensee keinen richtigen Krieg. Surfer und Kiter können sich auf den viertgrößten See Deutschlands gut aus dem Weg gehen. Heute stürzen lediglich an Leichtwindtagen in Zwergen gerne mal Kites ab wie die Lancester der RAF, ganz ohne Feuerballen und Tote. Deswegen zieht es mich eher nach Sachenbach. Da bläst der Wind gerne noch bis zum Sonnenuntergang. Untergang? Schon wieder. Und der ist in den bayrischen Alpen am Walchensee – Herzogstand-sei-Dank – vor acht. Hatte Winkler also doch recht mit seiner düsteren Beschreibung: Tod und Untergang überall. Jeden Tag.

Ich ziehe meine Lines weiterhin fröhlich über Lachsforellen, Renken, Monsterwaller, tote Nonnen, abgestürzte Bomber und Privatjets. Wer einen schönen Tag mit gutem Wind am Walchensee er-lebt, der könnte auf der Stelle sterben vor Glück. Ich zumindest. Näher an der Natur ist eben gefährlicher.

WALCHENSEE-INFO

Kitespots:

• Die Halbinsel Zwergern, bei Walchensee: Vom Camping Platz Walchensee radelt man am Klösterl St. Anna vorbei etwas 1,5 Kilometer bis zur Zwergerner Kapelle. Hinter der Kapelle befindet sich der große Kieselstrand, der erste Kite-Beach des Walchensees. Der Wind bläst in der Regel auflandig vom Norden und ist hier leider etwas schwächer als die Thermik an der Galerie nördlich an dr Bundesstraße zwischen Walchensee und Urfeld (keine Einstiegsmöglichkeit für Kiter). Dafür hat man auf Zwergern viel Platz.

• Sachenbach: Die erste Sachenbacher-Bucht gehört den Surfern. Wer in Urfeld parkt, radelt etwa zwei Kilometer am Nordufer bis zum Café (phänomenaler, selbstgebackener Kuchen) Sachenbach. Dann weiter am Ostufer entlang Richtung Süden. Nach der ersten Bucht (Wickie-Bucht) findet man den zweiten Kite-Beach an der etwas felsigen Landzunge. Der Wind bläst hier stärker und bis in die frühen Abendstunden fast sideshore. Der Einstieg ist wegen den Felsen und dem mangelnden Platz etwas delikat. Tipp: Oft ist das Parken am Wochenende in Urfeld am Kesselberg problematisch. Wer aus der Jachenau kommend die Mautstraße zum See wählt, kann problemlos an der Waldschänke Niedernach parken und am Ostufer vier Kilometer zum Spot radeln.

Alternativen:

• Der Spitz am Südufer: Bei guter Thermik, bläst der Wind bis ans Südufer. Zwischen Niedernach und Altlach befindet sich ein großer Kieselstrand (von Niedernach noch vor der Wasserwacht), den Einheimische „Spitz“ nennen. Im Frühling und Herbst und unter der Woche kann man hier mit großem Schirm starten. In den Sommermonaten ist hier täglich reger Badebetrieb, da man mit dem Auto direkt anfahren kann. Dann bitte unbedingt meiden.

• Strand bei Urfeld: Im Herbst bläst am Walchensee eine geniale Nebelthermik. Der einzige Einstieg für Kiter ist der Strand nach Urfeld am Nordufer (ca. 200 Meter von der Bundesstraße).

SO FUNKTIONIERT DER WIND

Eingesäumt von den Isarbergen im Süden, dem Estergebirge (Simetsberg), dem Herzogstand im Westen und dem Jochberg im Norden hängt der Wind nicht wie beim Ammersee von Westfronten ab, sondern kann dank der Sonne eine Thermik wie am Gardasee entwickeln. Das heißt, die größte Windwahrscheinlichkeit herrscht bei schönem Wetter. Und da ist der Walchensee sehr zuverlässig (ausgeschlossen sind Tage mit Südströmung). Bei Föhn kann der Wind jedoch kräftig blasen. Da ist der Kochelsee jedoch der bessere Tipp für Kiter. Die besten und stärksten Windtage erwischt man, wenn eine Nordost-Strömung vorherrscht. Da können gute fünf bis sechs Windstärken am ganzen See blasen. Tipp: Der erste sonnige Tag nach einem Tiefdruck ist meist ein richtig guter Walchenseetag (Internettipp: www.windinfo.eu). Der Nordost-Wind bläst erst leicht über den Kesselberg Richtung Süden. Die Ostflanken des Herzogstands werden von der Morgensonne richtig aufgeheizt. Die Luft wird so angezogen, deshalb kommen die Surfer an der Galerie am Westufer zwischen elf und zwölf Uhr als erster in den Genuss von Gleitwind. An der Messboje mitten im See teilt sich der Wind paradoxerweise. Der Weststrom zieht an der Westküste bis nach Zwergern (Kite-Beach 1), wo er sich etwas abschwächt. Kiter müssen etwas hinaufkreuzen, um in die Starkwindzone zu gelangen, oder den See nach Sachenbach (Kite-Beach 2) queren. Witzigerweise heißt Halbwindfahren am Walchensee einen Halbkreis nach Norden zirkeln, denn an der besagten Boje dreht der Wind Richtung Osten ab. Die Südflanken des Jochbergs werden besonders am Nachmittag aufgeheizt. Der aufgeheizte Hang saugt den Wind wie ein riesiger Staubsauger auf die Ostseite des Sees. Das erklärt auch die Tatsache, dass am Spätnachmittag der Wind am Westufer einschläft und sich aber in Sachenbach bis zum Abend verstärkt. An schwächeren Thermiktagen muss man sich mit dem bekannten Böen-Kiten zufrieden geben. Die Böen können dennoch mitunter sehr stark werden. Das türkise Flachwasser an den Felsen erinnert oft an Sommertagen in Griechenland – ein wahrer Genuss.

Ein einzigartiges Phänomen ist der Nebelwind im Oktober und November. Wenn in Kochel ein dicker Nebel herrscht und zudem ein kalter Nordostwind bläst und am Walchensee die Herbstsonne strahlt, drückt der Wind und saugt die Wärme am Walchensee eine gewaltige Wolkenwalze über den Kesselberg nach Urfeld. Ein Starkwind entwickelt sich und fegt mit fünf bis sechs Windstärken Nebelfetzen quer über den See. Der beste Wind bläst an der Gallerie am Westufer aber vor allem da, wo der Nebel fetzt. Das Nordufer bekommt nichts ab. Oft müssen Windsurfer zur Nebellinie schwimmen. Der Strand bei Urfeld ist für Kiter die einzige Einstiegsmöglichkeit und nur für Experten ein Tipp, da im Nebel keine Sicht herrscht.

Die Wassertemperaturen liegen im Sommer zwischen 16 und 20 Grad. Ein Shorty ist meist nötig. Im Frühling sind die Wassertemperaturen zapfig (unter 10 Grad). Im Herbst fordert der Nebelwind schon oft einen Vier-Milimeter-Anzug, eine Neo-Haube, vor allem aber Füßlinge. Die Saison endet ganz banal beim ersten Schnee. Wenn die Maiglöckchen blühen, können am Walchensee auch wieder die überdimensionalen Wasserschmetterlinge ausrücken.

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