Was ist der Unterschied zwischen einer Impfung im kommunalen Zentrum und beim Hausarzt? Die Patienten beim Doktor haben wärmere Füße und warten kürzer. Aber sie könnten auch eine unterhaltsame Stunde in der Warteschlange versäumen. Beim Impfzentrum in Herrsching hat sich ein Security-Mann, nennen wir ihn Moussa, als Organisator, Ordnungshüter und Alleinunterhalter unentbehrlich gemacht. Kleine Kostprobe: „Möchten Sie einen Tee?“ fragt er eine ältere Dame in der Warteschlange. Als sie den Tee dann probiert, beschwert sie sich: „Schmeckt aber nicht.“ Kommt die Antwort: Einem geschenkten Tee schaut man nicht die Tasse. Die Leute in der Schlange lachen – und schon ist wieder eine lange Minute etwas kürzer geworden.
Die Impflinge, Erst, Zweit- und Dreifach-Kandidaten, reihen sich in die Schlange ein, die bis zum Parkplatz reicht. Moussa, schwarze Hautfarbe und damit erkennbar kein Ur-Herrschinger, verteilt die Formulare, weckt Hoffnung („Jeder kommt dran“) und lässt die Anwesenheit einer staatlichen Autorität erahnen. Ein Mann füllt im Stehen die Blätter aus und amüsiert sich, weil das amtliche Papier auch ein Ankreuzkästchen bietet: „Ich will keine Impfung.“ Klar, dafür holen sich die Leute kalte Füße, um dem Impfpersonal dann mitzuteilen, dass man den Arm nicht hergibt für die Spritze.
Moussa in seiner blauen Uniform hat Mitleid mit den Leuten an der BIO-Tanke und fordert sie zu einem Tänzchen auf – afrikanische Lebensfreude im tristen Deutschland. Einen Mann mit ausländischem Akzent beruhigt er mit Blick auf die Container, die an Flüchtlingsunterkünfte erinnern könnten: „Keine Angst, hier wird nicht abgeschoben.“ In diesem Satz hat Moussa vielleicht seine eigenen Traumata verarbeitet. Ein anderer Mann fragt zweifelnd, ob er denn bleiben dürfe – schließlich habe er sich nicht angemeldet. Moussa fröhlich: „Du gefällst mir, du kannst bleiben.“
Weniger fröhlich geht’s im Impfzentrum zu. In einem Aufenthaltsraum sitzen 30 Leute, die sich fragend anschauen, wenn der Ruf kommt: Der Nächste bitte. Wer der Nächste ist, müssen die 30 dann unter sich ausmachen. Dass das Personal eineinhalb Stunden im Verzug ist bei der Reihenimpfung, liegt am Computer. Der hatte zu Beginn der Impfkampagne, als noch priorisiert wurde, schon einmal gestreikt – und das Personal hatte mehr Vakzine als Impflinge. Da bot man den Herrschinger Einzelhändlern schnell eine informelle Impfung an, um die angebrochenen Impffläschchen nicht wegwerfen zu müssen. Die Ad-hoc-Aufforderung wurde dann vom Landratsamt abgeblasen.
Ein Mann, der frisch geboostert aus dem Container kommt, hatte sich fest vorgenommen, die frisch gewonnene Immunisierung als Glücksfall zu empfinden. Dann kam die Meldung vom südafrikanischen Omikron. „Und die Laune war wieder im Keller“, stellt er lakonisch fest. Das griechische Alphabet hat’s zur Zeit nicht leicht.