Juristische Flachwasser-Köpfer

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Ein Kommentar von Gerd Kloos

Die größten Spaßverderber im Lande sind nicht die Meteorologen, Finanzämter oder Radarfallen. Die Feinde unbeschwerter Lebensfreude haben dicke Bücher im Regal, tiefe Sorgenfalten auf der Stirn und immer einen Paragrafen im Anschlag: Es sind die Juristen. Speiseeis im S-Bahnbereich, Freiluftgottesdienst im Landschaftsschutzgebiet, oder – und jetzt sind wir endlich beim Thema – ein Badesteg, der mehr als 0,75 Meter über die Wasseroberfläche hinausragt, kollidieren mit deutscher Paragrafen-Paranoia.

Jüngstes Beispiel: Die neuen Stege am Seewinkel und am alten Sportplatz, wegen der Weststürme 50 Zentimeter höhergelegt. Diese Badeboulevards sind die neue Attraktion Herrschings: optisch ein Augenschmaus, praktisch ein Genuss, technisch eine Meisterleistung. Aber streng genommen eine juristische Fehlkonstruktion. „Rückbau“, fordern Bedenkenträger, denn dieser Ammersee erlaubt sich – der Norm zum Trotz – völlig chaotische Wasserstandsschwankungen.

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung hat rund um Badestege und Badeinseln eine Wassertiefe von mindestens 1,80 Meter verlangt. Diese Empfehlung entdeckte sie beim Weltschwimmverband. Und in der DIN-Norm für Schwimmbadgeräte wird verfügt, dass die Wassertiefe bei einer ein Meter hohen starren Plattform mindestens 3,20 Meter betragen muss. „Sofern das Wasser nicht konstant die erforderliche Tiefe aufweist, bleibt aus unserer Sicht nur der Rückbau der Anlagen. Die bloße Aufstellung von Warn- oder Verbotsschildern halten wir für nicht ausreichend“, warnen die Versicherungsjuristen.

Leider haben sie nichts zur Mindestwassertemperatur geschrieben – nicht auszudenken, dass die Badegäste durch plötzlichen Vollkörperkontakt mit nicht ausreichend temperiertem Seewasser akute respiratorische Erkrankungen erleiden. Keine Erwähnung finden auch bedrohliche Alkoholpegel der Badegäste. Wir regen vorsorgliche Alko-Tests an jeder Badeleiter an.

Hey Freunde der Rundum-Risiko-Vermeidung, lasst mal die Kirche im Dorf, oder besser: vergesst mal Eure Tante-Erna-Dauerbesorgnis. Ein Fünf-Jähriger kann mittlerweile ein Smartphone bedienen, dann wird er auch ein Schild verstehen, das vor Köpfern vom Steg warnt.

18 Comments

  1. Es gibt da einen Spruch“Leben ist immer lebensgefährlich“. Es stimmt schon, dass junge und alte Menschen in der Freizeit am Ammersee jedes Jahr ertrinken oder verunglücken. Wir werden es nicht gänzlich verhindern können, wenn Zeitgenossen sich unvorsichtig verhalten oder falsch einschätzen. Trotzdem macht es keinen Sinn, alle Stege und Boote zu beseitigen, damit niemand sich verletzt. Dann müssten wir auch die Autos und Fahrräder von den Herrschinger Straßen entfernen und alle zu Fuss gehen und nur noch mit Schwimmweste baden gehen. Ch finde den neuen Steg wunderschön und wir werden lernen ihn richtig zu benutzen.

    • Ich finde den Kommentar absolut unpassend, es ins Lächerliche zu ziehen.
      Kinder schauen halt nicht auf Schilder, sind übermütig und springen vielleicht kopfüber rein, aus Spaß. Und was, wenn der Seespiegel zu niedrig ist und man mit dem Kopf den Boden berührt? Denn die schöne Steganlage gaukelt einem ja vor, ah, super, da kann man reinspringen…. Wenn man so was plant und fertigstellt, sollte man doch vorher überlegen! Ich weiß nicht, lieber Herr Pfänder, ob Sie Kinder haben . Aber stellen Sie sich vor, sollte es so sein, Ihren Kindern passiert dadurch was. Vielleicht im schlimmsten Fall eine Querschnittslähmug? Ich glaube, dann würden Sie anders denken. Klar lauern überall Gefahren rund um den See und anderswo und das ist das Leben, dass da was passieren kann , das ist so. Aber diese wunderschön angelegte Steganlage ist konstruiert, da denkt man doch, keine Gefahr. In der freien Natur, da forscht man erst , schaut , erkundet….

      • Man kann als Eltern seine Kinder doch auf mögliche Gefahren hinweisen und notfalls mit drastischen Worten erklären, was passieren kann, wenn sie diese nicht beachten.
        Gelegenheiten dafür gibt es viele, und bei meinen Kindern hat das auch funktioniert.
        Ich halte es andererseits für falsch, ihnen, bildlich gesprochen, jeden Stein aus dem Weg zu räumen. Dann lernen sie nie, auf sich selbst aufzupassen. MfG

  2. Man kann den Herrschingern zu der gelungenen Steganlage nur gratulieren. Zu der aktuellen Diskussion fällt mir ein, das vor einigen Jahren ein (ortskundiger) 18-jähriger Mann in München von einer Brücke in den Nymphenburger Kanal gesprungen war, weil er sich abkühlen wollte. Der Kanal hatte an dieser Stelle eine Tiefe von nur einem halben Meter. Die Verbotsschilder beachtete der junge Mann nicht. Er war nach dem Sprung querschnittgelähmt. An anschließende Forderungen, die Brücken einzureißen, kann ich mich nicht erinnern. Anscheinend kam niemand auf solch eine völlig abwegige Idee.

    • Vollkommen richtig! Und wenn jemand vom Hochhaus springt, denkt auch keiner daran, das Hochhaus abzureißen. Das hat aber mit unserem Thema nicht das geringste zu tun. Hier geht es um einen öffentlich zugänglichen See mit einem bädertypischen Ausbau, worunter insbesondere auch Badestege zählen. In diesem Fall trifft die Gemeinde eine gesteigerte Verkehrssicherungspflicht und ggf. sogar eine ständige Aufsichtspflicht durch einen Bademeister. Das muss unserem Bürgermeister sowie Mitgliedern des Gemeinderates aus einem früheren Fall bekannt sein. Und nicht umsonst tendiert die Schlösser- und Seenverwaltung grundsätzlich zum Rückbau von Ammersee-Stegen.
      Optisch ist die Steganlage sicher gelungen und das verwendete Holz ist auch sehr schön.

  3. Ein neutraler Blick auf die Berichte der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie zum Thema ist durchaus lohnenswert.

    • Eine Beschäftigung mit dem Thema Fundamentalopposition wäre es ebenfalls.
      Und damit, ob sie konstruktiv für ein Gemeinwesen ist oder nicht.

  4. Aufgrund der obigen Unfallbedenken wird mir klar, warum die Breitbrunner Jugend schon seit Generationen vom Dampfersteg hechtet. Da wird die Fahrrinne immer ausgebaggert und es ist noch nie was passiert. Nur – das Springen vom Dampfersteg ist aus verständlichen Gründen auch strengstens verboten. Ich finde einen Rueckbau unangemessen und viel zu teuer. Aber… In der Zukunft könnte man auch Schwimminseln andenken.

  5. Es war schon arg für die Herrschinger Jugend, dass der Sprungturm wegen der zu geringen Wassertiefe abgebaut werden musste.
    Aber jetzt auch noch die Badestege??? Deren eigentlicher Zweck ist ja nicht, dass man sie als Plattform für Kopfsprünge nutzt.
    Nach dieser Logik müsste man eigentlich auch alle größeren Bäume absägen, da Kinder gerne in ihnen herumklettern und sie sich beim Herunterfallen (theoretisch) ja auch schwere Verletzungen zuziehen könnten.

    • Offenbar haben aber weder der Bürgermeister, noch die Gemeinderäte sowie die Verwaltung aus dem Sprungturmproblem etwas gelernt. Und das mit den Bäumen soll sicher nur ein Scherz sein.

      • Selbstverständlich sollte das ein Scherz sein.
        Ich wollte nur auf das stellenweise überzogene Sicherheitsdenken bei uns in Deutschland hinweisen.
        Es gibt so viele andere „Baustellen“, wo man mehr für die Sicherheit von Kindern und auch erwachsenen Bürgern tun könnte, zum Beispiel im Straßenverkehr.

    • In einer Bauausschuss-Sitzung am 01.07.2019 wurde durch den Bürgermeister der Gemeinde Herrsching darauf hingewiesen, dass für den Sprungturm eine Fachkraft für Bäderbetriebe notwendig sein. Ein Rettungsschwimmer sei nicht ausreichend. Am 16.09.2019 wurde durch den Herrschinger Gemeinderat mit 16:3 Stimmen der Beschluss gefasst, dass der Betrieb des Sprungturms aus haftungsrechtlichen Gründen eingestellt wird.

  6. Lieber Herr Kloos, Ihrem Kommentar ist zu entnehmen, dass für Sie einschlägige Gerichtsentscheidungen offenbar keine Rolle spielen sollen. So geht es aber nicht. Bedenken Sie bitte auch, dass es in erster Linie um die Verkehrssicherung geht, für die mit allen Folgen der Bürgermeister und auch die Gemeinderäte tangiert sind und auch persönlich zur Verantwortung gezogen werden können. Und bei Ihrem Hinweis auf den Fünfjährigen blenden Sie aus, dass es Gerichtsentscheidungen gibt, die das Aufstellen von Warn- oder Verbotsschildern als nicht ausreichend erachten.

  7. Das stimmt schon alles mit Deutschland und den Paragraphen. Ich finde das auch alles so, wie es geschrieben wurde. Nur in diesem Fall muss ich sagen, hätte ich auch Bedenken und würde rückbauen lassen. Stellen Sie sich vor junge Leute sind halt mal übermütig, lesen die Schilder vielleicht nicht und springen kopfüber ins Wasser. Wenn der Wasserstand dann grad recht niedrig ist, berühren sie mit dem Kopf eventuell den Boden, stauchen die Wirbelsäule, sind im schlimmsten Fall querschnittsgelähmt. Und wenn so eine Möglichkeut besteht, dann muss man doch handeln. Ich verstehe ja die Konstrukteure und Erbauer nicht! So was muss doch vorher miteinberechnet werden. Wenn alles so schön fertig ist, ist es ein Jammer, es abzureissen und zu ändern. Nur, lieber das, als ein Menschenleben zu gefärden. Dann macht man sich schnell lustig über die Bürokraten und schreibt von Mindestwassertemperatur und so. Das finde ich unangebracht.

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