„Sie machen doch nicht wirklich zu?“ Den Kundinnen, die den gelben Zettel an Carlas Kaffeetür lesen, steht fast der Angstschweiß auf der Stirn. „Nein, das ist nur ein Aprilscherz“, antwortet Carola Maler sarkastisch. Herrschings Tortentempel macht am 31. Dezember tatsächlich dicht. Dann sind 41 Jahre Bäckerei Göppel und 15 Jahre Carlas Kaffeehaus Geschichte. Oder doch nicht? Vielleicht kommt ja noch der Konditor, der die Wiener Kaffeehaus-Kultur in der Seegemeinde weiterführt. Carlas Kaffeehaus war der Schlag Sahne auf Herrschings Gastronomie. Eine sentimentale Abschiedsparty wird’s übrigens nicht geben, sagt Chefin Carola Maler. Im Gespräch mit herrsching.online gibt sie Einblicke in ihr bewegtes Leben hinterm Tresen.
herrsching.online: Warum hören Sie auf?
Maler: Ich bin 65, meinem Mann geht es gesundheitlich nicht so gut, und die Mitarbeitersituation ist seit Corona katastrophal. Ich war mein Stammpersonal los. Und in diesem Metier lässt sich seit 20 Jahren niemand mehr ausbilden, der Beruf der Fachverkäuferin ist nicht mehr trendy.
herrsching.online: Liegt es an der Bezahlung oder am Image des Berufes?
Maler: Sowohl als auch. Dabei macht der Beruf sehr viel Spaß, verlangt Kreativität, aber er ist leider nicht angesagt. Und leider auch unterschätzt. Ich hab das selber an der Theke erlebt, als ich mit französischen Kunden französisch gesprochen habe. Da sagte eine andere Kundin: „Was, Sie sprechen Französisch?“ Mittlerweile kommentiere ich das mit dem Satz: „Ich spiele auch Klavier.“

herrsching.online: Heute hängt ja das Sozialprestige vom Verdienst ab. Was verdient denn eine Fachverkäuferin?
Maler: Zwischen 1700 und 1800 Euro. Plus Trinkgeld, das wir vollständig auf alle Angestellten umlegen. Da kommen bei einer Vollzeitstelle noch bis zu 400 Euro drauf. Aber man muss halt 175 Stunden im Monat arbeiten. Und jedes zweite Wochenende. Und da möchte die Deutsche oder der Deutsche nicht arbeiten.
herrsching.online: Wie gut ist denn die Ausbildung zur Fachverkäuferin in Bayern?
Maler: Das Niveau nach der Ausbildung ist erschreckend. Die können oft nicht einmal eine schöne Schleife machen.
herrsching.online: Und was wird aus Ihrem schönen Cafe?
Maler: Wissen wir noch nicht. Jetzt sperren wir erst einmal zu.
herrsching.online: Aber wenn Sie einen passenden Nachfolger finden, dann geht’s weiter?
Maler: Ja. Und wir würden gerne hier wohnen bleiben, wir wohnen ja über dem Cafe. Aber die Hoffnung ist nicht sehr groß. Wer Interesse an einem Lokal hat, der macht sein eigenes Ding. Und so bleiben Anfragen von Vietnamesen, Indern, Pakistanis, Albanern. Aber die können nicht mal ein Vanillekipferl von einem Zimtstern unterscheiden. Und das lernen die in hundert Jahren nicht. Können Sie sich hier ein vietnamesisches Restaurant vorstellen mit dieser Cafe-Haus-Atmosphäre?
herrsching.online: Schlimmster Fall, Sie finden niemanden, der in Ihre Fußstapfen tritt – was passiert dann?
Maler: Schlimmstenfalls müssen wir das Haus verkaufen, was mir wirklich sehr leid täte. Witzigerweise haben sich für das Haus schon die ersten Interessenten eingestellt, bevor wir etwas davon wussten. Das Haus aber ist unsere Rente. Wir haben jedenfalls nicht soviel Geld verdient mit dem Cafe, dass wir es uns leisten könnten, das Lokal leerstehen zu lassen.
herrsching.online: 41 Jahre hinter der Theke – wenige haben mehr erlebt in der aufstrebenden Seegemeinde. Was waren Ihre eindrücklichsten Erinnerungen?
Maler: Mein Elternhaus war die Bäckerei Stenzel in der Andechsstraße. Dann gab es eine kleine Filiale neben dem Schindlbeck. Der Opa hat dieses Haus in der SeestraßE 1945 mit seinem Bruder, der ein Baugeschäft in Herrsching hatte, gebaut. Nach dem Krieg, in der eine unvorstellbare Wohnungsnot herrschte, haben 26 Menschen in diesem Haus hier gewohnt, in jedem Zimmer eine Familie mit Etagentoilette. Der Zahnarzt Dr. Göppel hatte hier in einem halben Wohnzimmer seine erste Praxis.
herrsching.online: In der Andechsstraße lebte ja eine ganze Bäckerdynastie…?
Maler: Meine Eltern hatten die Bäckerei übernommen von den Großeltern, die relativ früh verstorben sind, weil das Bäckerhandwerk ein körperlich sehr harter Beruf war. Da ging noch fast alles mit Handarbeit. In unserer Familie ist niemand 65 geworden. Es war echt ein Knochenjob, die Bäcker haben nächtelang durchgearbeitet. Ich erinnere mich noch, dass die Familie, egal wo sie war, abends um halb Acht daheim sein musste, weil der Vater den Sauerteig für den nächsten Tag ansetzte.
herrsching.online: Hat das Brot früher besser geschmeckt als heute?
Maler: Ja. Und es war viel länger haltbar, weil es mehr Zeit hatte. Jetzt entdecken wieder ein paar junge, ehrgeizige Bäcker die alten Handwerksregel: Ein Teig muss liegen, ein Teig muss reifen. Aber dieses Brot hat dann halt auch seinen Preis. Durch die ganze Automatisierung und die Zusätze ist so vieles verloren gegangen. Dafür es gibt heute Brotsorten, an die früher niemand dachte. Früher gab es ein Landbrot, ein Weißbrot und ein Mischbrot, vielleicht noch ein Bauernbrot.
herrsching.online: Sie haben auch das Bäckereihandwerk gelernt?
: Nein, ich habe etwas ganz anderes gelernt. Ich hatte ja zu Hause immer den Zoff miterlebt. Wenn am Samstag um 9 der Laden ausverkauft war, wurde nachgebacken, dafür haben die Mitarbeiter dann als Überstundenausgleich einen Leberkäs bekommen.
herrsching.online: Und Sie haben was gelernt?
Maler: Ich habe Hotelfachfrau gelernt, war auf der Hotelfachschule und habe dann zusammen mit 2 Freundinnen das Köfferchen gepackt und bin nach Paris gefahren, wir wollten die große Welt erobern. Heute geben die jungen Leute mit Reisen nach Australien an, aber für die ist alles organisiert. Wir mussten alles alleine machen, Wohnung suchen in Paris, einen Job suchen. Meine Mama hat uns mal 5000 Francs geliehen, und die hat sie wieder gekriegt. Wir sind dann an die Cote d’Azur gewechselt, waren auf Korsika. Und dann kam die Hiobsnachricht aus der Heimat. Der Pächter der kleinen Filiale hatte sich beim Teigrausnehmen an der Wirbelsäule verletzt und ist ausgefallen. Deshalb hatte mich die Mama gebeten, den kleinen Laden zu übernehmen. Ich habe Ja gesagt, und das wars dann mit meiner Weltkarriere.
herrsching.online: Und mit Ihnen ist die Bäckerei dann kräftig gewachsen?
Maler: Ich habe deutlich gemacht, dass ich einen neuen Laden möchte, den habe ich dann auch gekriegt. Dann ist mein Vater nach einem Herzinfarkt mit 60 in Rente gegangen, meine Eltern sind dann in die Seestraße gezogen und haben das Geschäft an Herrn Stenzel verpachtet.
herrsching.online: Und wie ist aus der Bäckerei ein Cafe geworden?
Maler: Die Kunden stellten Ansprüche: Nachdem wir den Laden umgebaut hatten, meinten sie, dass es in München beim Bäcker überall Kaffee gibt. Ich hab sie dann gefragt, ob ich mit der Thermoskanne kommen soll. Schließlich kam also eine Kaffeemaschine, das war in den Achtziger Jahren. Dann eine Eckbank zum Sitzen, und schließlich wurde ein richtiges Cafe draus.
herrsching.online: Welche Rolle spielte Ihr Sohn beim Übergang von der Bäckerei zu einer Konditorei mit Cafe?
Maler: Mein Sohn Daniel hatte eigentlich Bäcker gelernt, wir hatten ihn dann überzeugt, dass er gleich noch eine Konditorenlehre dranhängen sollte. Er hatte schon als Kind gerne gebacken, als junger Bub hatte er uns schon mit einem selbstgebackenen Zopf überrascht. Er war dann sogar Prüfungsbester und bei Wettbewerben sehr erfolgreich. Er hatte es sogar zum Deutschen Meister geschafft. In Pöcking hat er die Konditorei Müller übernommen. 2019 hatte Kasprowicz die Bäckerei Kohl übernommen . Dann haben wir gesagt, wir tauschen einfach die Seiten, früher war drüben eine Konditorei Kohl und hier die Bäckerei Göppel, jetzt ist drüben eine Bäckerei und bei uns gibt es Kuchen von Konditormeister Stahl.
herrsching.online: Was haben Sie Lustiges mit Ihren vielen Stammkundinnen erlebt?
Maler: Wir haben viele sehr nette Stammkunden, ob die aber lustig waren? Unsere Stammkunden sind natürlich keine Teenager mehr, weil klassisches Cafeambiente mit Lüstern nicht jedermanns Sache ist. Ich habe vor der Renovierung 3 Tage in Wien alle Cafehäuser abgeklappert und die wunderbare, gemütliche Atmosphäre studiert. Dann haben wir das so gemacht, wie ich das wollte.
herrsching.online: Wie haben Ihre Stammkundinnen reagiert, als sie von der Schließung erfahren haben?
Maler: Die Kunden tun mir ja auch leid. Aber viele haben auch Verständnis geäußert, weil sie gesehen haben, wieviel Arbeit ein solches Cafe macht. Und die Kunden haben ja auch das Gschiss mit den Mitarbeitern mitbekommen und deshalb gesagt: Ja, machens das. Eine über 90-Jährige hatte weniger Verständnis. Sie sagte spitz, dass wir ihr das letzte Fünkchen Lebensfreude nehmen. Ich hab sie darauf gefragt, was sie denn früher gearbeitet habe. I, sagt sie dann, i hob no nia garbeitet, mein Mo hat immer guat verdient. Sehen Sie, hab ich gesagt, das ist der große Unterschied zwischen uns beiden.
herrsching.online: Ins Kiez kann man ältere Damen ja nicht gut schicken…
Maler: Der Kaffee ist gut dort, aber das Ambiente ist vielleicht nicht ganz altersgerecht.
herrsching.online: Was machen Sie nach dem 31. Dezember?
Maler: Eine Woche schlafen.
herrsching.online: Herrsching wird Sie vermissen.
Liebe Frau Maler,
es war für uns eine „niederschmetternde Information“.
Leider verliert Herrsching eine kulinarische Bestadresse.
Wir wünschen Ihnen für Ihren Ruhestand beste Gesundheit,
viel Freude und Glück!