Der Pfarrer der Drei-Seen-Gemeinde ist innerhalb von zwei Jahren in der Beliebtheitsskala oben angekommen: Mit kraftvollen Predigten, dauerguter Laune und mitunter höchst originellen Gottesdiensten hat Ulrich Haberl die Erlöserkirche zu einem „Tempel“ der Überraschungen gemacht. Ebenso wie sein katholischer Amtsbruder Rapp sähe er in Herrsching gerne etwas weniger Autos und mehr Fahrräder. Vielleicht gelingt es der Seegemeinde ja mit himmlischem Beistand, die toxischen Beimischungen in unsererer Luft zu reduzieren?
herrsching.online: Warum leben Sie in Herrsching?
Haberl: 2020 – noch vor der Pandemie – hatte ich das Gefühl, ich möchte nach 15 Jahren als Pfarrer in München-Neuhausen meine Aufgabe und meinen Lebensort noch mal wechseln. Dann war eine Stelle in Herrsching am Ammersee ausgeschrieben. Mal an diesem See zu leben, war schon immer ein Traum von mir. Also: Bewerbung abgeschickt – und dann hat es auch noch geklappt. Seit September 20 bin ich hier.
herrsching.online: Ist der Satz: „Das Beste an Herrsching ist die S-Bahn nach München“ eine Frechheit oder die Wahrheit?
Haberl: Er ist ein Blödsinn. Für mich ist das Beste an Herrsching die Lage am See. Was für ein Glück, hier ein paar Jahre leben zu dürfen! Dass man dann auch noch hin und wieder problemlos (naja, mehr oder weniger) und ohne zusätzliche Emissionen nach München kommt, ist eine tolle Zugabe.
herrsching.online: Wo würden Sie am liebsten wohnen – wenn Sie es nicht schon tun: Lieber am Berg mit schöner Übersicht, lieber feudal am See oder mittendrin?
Haberl: Das Pfarrhaus, in dem meine Frau und ich leben, liegt optimal. Es ist großzügig, aber nicht feudal (das würde nicht zu mir passen); ein paar Schritte zum Kurpark und zur Badestelle; in der Nähe unserer Kirche, aber mit etwas wohltuendem Abstand. Da bleiben bei mir keine Wünsche offen.
herrsching.online: Welchen Vereinen gehören Sie an?
Haberl: Ich habe großen Respekt vor allen Leuten, die sich in Vereinen engagieren. Ich selber bin eher unverbesserlicher Individualist als Vereinsmensch. So gut finde ich das gar nicht. Aber ich werde es vermutlich erst ändern, wenn ich mal in Ruhestand bin. Dann aber wohl nicht mehr in Herrsching.
herrsching.online: Wie heißt Ihr Lieblingslokal?
Haberl: Ich gehe ganz gern ins Herrschinger Brauhaus oder zum Italiener nach Drößling. Insgesamt vermisse ich in Herrsching eine kreative vegetarische Küche. Oder ich habe sie noch nicht gefunden. Gute Tipps sind sehr willkommen.
herrsching.online: Bei welchem Geschäft in Herrsching kaufen Sie am liebsten ein?
Haberl: Ich finde super, dass es in Herrsching ein so breites Spektrum von Geschäften gibt: Supermärkte, Bäcker, Bio-Laden, Baumärkte, Tee, Klamotten, Sport … – und das alles nur einen Katzensprung entfernt. Ein besonderes Highlight ist, dass es 20 Schritte von unserem Pfarramt bei Steffis „Kaffee-Rösterei“ den besten Cappuccino der Welt gibt. Der hilft bei fast allen Schaffenskrisen! Und über die Bücherinsel freue ich mich auch.
herrsching.online: Wo in Herrsching vergeht Ihnen Ihre gute Laune?
Haberl: In den Autoschlangen auf den Durchgangsstraßen. Dann denke ich: Diesen Gestank kennst du doch noch aus der Stadt. Und wenn mal wieder ganz Eilige „Highspeed“ durch die Tempo-30-Straße vor der Erlöserkirche brettern.
herrsching.online: Sind die Leute nach Ihrem Geschmack in Herrsching zu alt, zu jung oder stimmt die Mischung?
Haberl: Ach, Hauptsache die Leute sind nett. Und nette Leute gibt’s ja eine ganze Menge hier, wie ich schon herausgefunden habe. Wobei, wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ein bisschen mehr Jugend wäre schon schön. Wenn ich im Urlaub mal wieder in einer Uni-Stadt bin, dann finde ich es sehr belebend, dass auch junge Leute das Straßenbild prägen. Leider kann ich selber als „Neubürger“ aber nicht zur Verjüngung Herrschings beitragen.
herrsching.online: Wenn Sie Bürgermeister in Herrsching wären, was würden Sie ändern (wenn Sie könnten)?
Haberl: Mir würde es gefallen, wenn vom Dampferanleger aus ein verkehrsberuhigter Bereich mit Priorität für Fußgänger und Radler zum Bahnhof und in den Ortskern führen würde. Ob so was realisierbar wäre?
herrsching.online: Herrsching ist eine reiche Gemeinde. Wird das Geld richtig ausgegeben?
Haberl: Oh, da muss ich passen. So intensiv habe ich mich mit der Gemeindepolitik noch nicht beschäftigt. Da traue ich mir kein Urteil zu. Schade finde ich, dass der Bahnhof etwas runtergekommen dasteht. Es gibt ja Ideen, ihn in einem Treffpunkt und Kulturstandort zu verwandeln. Wenn Kohle da wäre, fände ich sie dort ganz gut investiert.
herrsching.online: Im Gemeinderat in Herrsching herrscht das vertraute DU. Lieber etwas distanzierter oder gleich bei der bayerischen Anrede?
Haberl: Dass es „Du“ und „Sie“ gibt, gefällt mir ganz gut. Am besten geht es mir, wenn weder das eine noch das andere „verordnet“ wird. Ich mag das freie Spiel von Nähe und Distanz und auch den Augenblick, wenn es einfach passt, jemandem das Du anzubieten.
herrsching.online: SUV oder Pedelec?
Haberl: Pedelec! Meine persönliche Meinung ist: Das Fahrrad ist die größte Erfindung der Menschheit.
herrsching.online: Alle Welt redet übers Klima. Aber die Herrschinger gelten – sogar amtlich belegt durch Statistiken – als Öko-Muffel. Können Sie das aus Ihrem Bekanntenkreis bestätigen?
Haberl: Nein. Ich habe hier viele Leute kennengelernt, die ihr Leben und ihren Konsum ökologisch sehr bewusst gestalten.
herrsching.online: Herrsching bietet viele kulturelle Veranstaltungen. Wann waren Sie zuletzt in einem Konzert, einem Vortrag oder einem anderen Kultur-Event?
Haberl: Wenn ich den Kultur-Raum rund um Herrsching etwas größer ansetzen darf: Das Konzert der jungen Jazz-Sängern Amelie Scheffels und ihres Quartetts im September in Schloss Seefeld war die Wucht. So coole Musik, voller Drive und Rhythmus, hochkomplex und von geistiger Tiefe! Ein Erlebnis! Ach – und dann natürlich die „Künstler aus dem Einbauschrank“ mit der „kreativen Zwischennutzung“ des ehemaligen Heine-Areals im Juli: Sprudelnde Kreativität – ein echtes Gesamtkunstwerk. Kulturell wird man in Herrsching echt verwöhnt!
herrsching.online: Wie oft gehen Sie im Sommer im See baden?
Haberl: Zu selten, weil ich meine Work-Life-Balance nicht immer optimal in den Griff kriege. Aber schon mehrmals die Woche.
herrsching.online: Herrsching ist stolz auf den Zusatz „am Ammersee“. Sind die Herrschinger eher dem Wasser zugetan oder bleiben sie lieber auf festem Grund?
Haberl: Naja, was wäre Herrsching ohne den Ammersee? Das kann man – und das will man sich doch nicht wirklich vorstellen!
herrsching.online: Was hat Sie in der letzten Woche richtig geärgert in Herrsching?
Haberl: Nix.
herrsching.online: Und worüber haben Sie sich sakrisch gfreit?
Haberl: Über das Leuchten des Sees im Sonnenuntergang. Über das Leuchten in den Augen der alten Herrschaften beim Gottesdienst im Johanniterhaus. Ich sammle solche Augenblicke voller Glanz.
