Homöopathie oder Chemie? Was wie ein unversöhnlicher Gegensatz aussieht, lebt in Herrsching in friedlicher Koexistenz: Die Apothekerin (taufrische Auszeichnung: Seeapotheke ist die „beste Apotheke Deutschlands“) Helen Brugger und der Heilpraktiker und Heilpflanzenexperte Stefan Petri arbeiten Hand in Hand. Petri stellt individuelle Medikamente zusammen, die in der St. Nikolaus Apotheke hergestellt werden. herrsching.online fragte Helen Brugger und Stefan Petri, wie diese heute durchaus ungewöhnliche Zusammenarbeit funktioniert.
Helen Brugger: „Die St. Nikolaus-Apotheke, die einmal meinem Großvater gehört hatte, habe ich schon seit 2001, die See-Apotheke habe ich 2007 übernommen. Ich stamme aus Weilheim, aber mein Großvater war Herrschinger. Mein Vater und meine Mutter hatten damals in Weilheim eine Apotheke aufgemacht, weil mein Großvater in der St. Nikolaus-Apotheke bis zu seinem Ruhestand gearbeitet hatte. Damals durfte man nur eine Apotheke besitzen. Warum bin ich Apothekerin geworden? Weil meine Eltern Apotheker waren, mein Bruder Apotheker ist, und wie erwähnt auch mein Großvater und auch Onkel und Tanten Apotheker waren. Alle in meiner Familie haben von dem Beruf geschwärmt, und ich habe meine Berufswahl auch nie bereut. Ich bin 49 Jahre alt.“

Stefan Petri: „Ich bin 20 Jahre älter, also 69. Ich hatte zuerst im klinischen Bereich gearbeitet. Und um Heilpraktiker zu werden, muss man mindestens 25 Jahre alt sein. Ich war damals erst 21. Deshalb habe ich eine Ausbildung als Physiotherapeut gemacht. Als ich alt genug war, habe ich an der Angererschule, die die beste war, meine dreieinhalbjährige Ausbildung zum Heilpraktiker gemacht. Und seit 1986 habe ich in Herrsching eine eigene Praxis. Mein Spezialgebiet sind die Homöopathie und die Heilpflanzen. Ausgebildet wurden wir natürlich auch in Akkupunktur, Chiropraktik, Osteopathie, aber jede dieser Therapiearten ist eine Lebensaufgabe, da muss man sich spezialisieren. Ich habe auch eine Ausbildungsstätte mitbegründet vor 30 Jahren. Ich war schon als Kind mit den Pflanzen sehr verbunden und viel in Wiesen und Wäldern herumstrawanzt.“
herrsching.online: Sind Homöopathie und die klassische Schulmedizin unversöhnliche Gegensätze? Ist die Diskussion um die Homöopathie, die ja schon den Bundestag beschäftigt hat, ideologisch aufgeladen?
Petri: Naturheilkunde, Heilpflanzen und Homöopathie werden in der Bevölkerung in einen Topf geworfen. Naturheilkunde ist ein Überbegriff für eine Therapie, wie die Natur von sich aus arbeitet. Diese Therapie bietet verschiedene Methoden, zum Beispiel Akkupunktur, Chiropraktik, Heilpflanzen und Homöopathie. Das sind in der großen Familie der Naturheilkunde einfach nur verschiedene Methoden. Da gibt es in der Bevölkerung große Missverständnisse.
Brugger: Naturheilkunde ist, wie es Herr Petri richtig erklärt hat, ein Überbegriff, aber die Methoden sind nicht gleichzustellen. Die Phythotherapie…
herrsching.online:.. also die Anwendung von Pflanzen…
Brugger… ja, diese Pythopharmazie ist nicht das gleiche wie die Homöopathie. Beiden liegen vollkommen andere Herstellungsprozesse zugrunde.
herrsching.online: Die Homöopathie heilt Ähnliches mit Ähnlichem. Aber auch da gibt es viele Schulen?
Petri: Ja, das ist die Grundidee der Homöopathie. Diesen Ansatz hat der deutsche Arzt Dr. Samuel Hahnemann vor 225 Jahren begründet. Die Homöopathie trennt auch nicht zwischen körperlicher und geistiger Krankheit.
Erkältet? Heilungstipps von Profis
Viele Leute sind zur Zeit erkältet. Wie kommt man schnell wieder auf die Beine, und wie stärkt man das Immunsystem?
Brugger: Natürlich sollte man seine Selbstheilungskräfte aktivieren und sich idealerweise schonen, aber durch bestimmte Phytopharmaka, zum Beispiel Immunstimulanzen, kann man sich zusätzlich stärken. Bevor man Antibiotika nimmt, könnte es in manchen Fällen sinnvoll sein, zum Beispiel Angocin zu probieren mit Meerrettich und Kapuzinerkresse.
Petri: Es gibt Substanzen, die das Immunsystem stärken wie Zink oder Vitamin E. Aber ich schau mir die Patienten an und stelle dann ein individuelles Medikament zusammen. Schließlich sind die Symptome ja auch individuell unterschiedlich.
herrsching.online: Frau Brugger, wie stehen Sie denn als Naturwissenschaftlerin zur Homöopathie?
Brugger: Offen natürlich. Leider wird alles in einen Topf geworfen. Aber ich stehe der Homöopathie genauso wie auch anderen naturheilkundlichen Verfahren offen gegenüber. Man kann jedenfalls nicht sagen, dass Naturheilkunde generell nicht wirkt, weil sie viel schwächer ist als die sogenannte klassische Schulmedizin.
herrsching.online: Nun gab es politische Bestrebungen, dass die Krankenkassen homöopathische Behandlungen nicht mehr bezahlen, weil sie keine therapeutischen Nutzen hätten. Es liege keine valide Studie vor, dass Homöopathie tatsächlich wirke.
„Politische Bestrebungen gegen Homöopathie sind ein Versuch, Kosten zu sparen“
Brugger: Je nachdem, welche Studie man als Argumentation heranzieht, sieht auch das Ergebnis aus. Aber die politischen Bestrebungen sind natürlich auch ein Versuch, Kosten zu sparen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es Politiker gibt, die dafür sind, Homöopatie weiter zu bezahlen. Homöopathische Behandlungen verursachen geringe Kosten, die in keinem Verhältnis zur Wirksamkeit der Therapien stehen. Das Ganze ist also ein hochpolitisches Thema und folgt nicht immer rationalen Argumenten.
herrsching.online: Welche naturheilkundlichen Medikamente stellen Sie in der Nikolaus-Apotheke her?
Brugger: Wir stellen sehr viele Tees her. Wir stellen auch spagyrische Mischungen zusammen, das ist eine Unterart der naturheilkundlichen Medizin, wo man spezielle pflanzliche Tinkturen, die aufwendig hergestellt werden, zusammenführt. Wir haben ein breites Sortiment wie zum Beispiel Schüssler-Salze und diverse anthroposophische Mittel. Die Herstellung von Tees und Tinkturen ist eine Spezialität der St. Nikolaus-Apotheke.
herrsching.online: Setzen individuelle Mittel viel Patientenrecherche voraus? Sprich: Sie sprechen viel und lange mit dem Patienten, Herr Petri?
Petri: Ich kann nur individuell behandeln, wenn ich etwas über das Individuum weiß. Bei mir gibt’s keine Behandlung unter einer Dreiviertelstunde. Das liegt aber nicht so sehr an der Suche nach dem passenden Medikament, sondern daran, dass wir Heilpraktker ein ganz anderes Klientel haben als die Ärzte. Wir haben überwiegend chronisch kranke Patienten, die in der Schulmedizin keine Hilfe gefunden haben. Das ist ja die einzige Daseinberechtigung des Heilpraktikers. Im Rahmen der Europäisierung wollte man die Heilpraktiker ja abschaffen, weil es den Heilpraktiker als Beruf nur in Deutschland gab. In einer Umfrage stellte sich dann heraus, dass es ein umfassendes Bedürfnis der Menschen gibt, sich anders behandeln zu lassen als mit der klinischen Medizin. Das hat dazu geführt, dass der Heilpraktiker als Berufsstand in Deutschland erhalten geblieben ist
herrsching.online: Welche Menschen suchen Hilfe beim Heilpraktiker? Sind es eher Frauen als Männer, eher ältere Menschen als jüngere?
Petri: Ich schätze, dass beim Heilpraktiker 60 Prozent Frauen sind. Ältere oder jüngere? Ich habe eine Zeitlang fast nur Kinder behandelt, als meine Kinder noch klein waren. Inzwischen ist das nicht mehr so. Inzwischen kommen Mütter, die als Kinder bei mir in Behandlung waren und sich erinnern: Ich war doch bei Herrn Petri, das hat mir damals sehr geholfen. Das sind schöne Momente in der Praxis.
herrsching.online: Wenn Sie vor allem Patientinnen und Patienten haben, die in der Klinischen Medizin schlecht behandelt wurden, könnte man fast sagen: Das ist die Resterampe der Medizinbranche?
„Wir behandeln chronisch verkorkste Fälle“
Petri: Im Prinzip ist das so. Wir behandeln chronisch verkorkste Fälle, bei denen man mit detektivischer Genauigkeit herausfinden muss, wann und wodurch der Mensch krank geworden ist. Egal, ob das nun auf körperlicher oder seelischer Ebene passierte. Oft ziehen sich die Krankheitsprozesse dann über Jahrzehnte hin.
herrsching.online: Frau Brugger, gibt es einen Trend zur Naturheil-Medizin?
Brugger: Ja, die Leute ernähren sich wieder bewusster, versuchen gesünder zu leben, achten mehr auf Themen wie Nachhaltigkeit und Resilienz. In den Krankenkassenverordnungen aber spiegelt sich das nicht so wider, weil sich unsere Versicherungswirtschaft eher ins Gegenteil entwickelt. Durch die Regularien der Krankenkassen sind naturheilkundliche Medikamente aus der Erstattungspflicht herausgefallen. Deshalb gibt es bei den Krankenkassen eine Tendenz zu chemischen Mitteln.
herrsching.online: Gibt es Studien, in denen die Wirksamkeit von naturheilkundlichen Medikationen bestätigt wird?
Petri: Bei solchen Studien kommt es auf die Spielregeln an. Wenn man doppelte Blindversuche als Standard ansetzt, kann da kein Ergebnis pro Naturheilkunde rauskommen, weil die Individualität rausfällt. Aber wenn sich eine Methode über 200 Jahre auf der ganzen Welt bewährt hat, muss sie wirksam sein. In Indien zum Beispiel ist Homöopathie wie klinische Medizin anerkannt. Und auch bei uns gibt es viele Kliniken, sogar Krebskliniken, die fast ausschließlich mit Homöopathie arbeiten. Der banalste Satz gegen die Homöopathie geht so: Da find ich molekular nichts in einem solchen Medikament, also kann es nicht wirken. Wenn ich eine Musik-CD unterm Mikroskop betrachte, finde ich Polycarbonat, aber nichts von einer Bach-Sonate. Man muss schon das Material und die Information auseinander halten.
herrsching.online: Frau Brugger, wie haben Sie Ihre Nähe zur Naturheilkunde entwickelt?
Brugger: Apotheker machen ja in fünf Fächern Examina, und eines davon ist Biologie. Dann gibt es noch die Möglichkeit, den Fachapotheker zu machen mit Homöopathie und Naturheilverfahren. Diese zusätzliche Fachausbildung habe ich noch absolviert, weil es mich auch persönlich interessiert.
herrsching.online: Wo haben Naturheil-Methoden und Homöopathie ihre Grenzen, zum Beispiel in der Onkologie?
Petri: Wenn ein Patient eine Krebserkrankung nicht überlebt, dann liegt das am Krebs und nicht an der Heilmethode. Wie schon erwähnt, gibt es Kliniken, die fortgeschrittene Krebserkrankungen mit Homöopathie behanden. Und zwar mit großem Erfolg. Ich würde die Grenzen nicht an medizinischen Diagnosen festmachen. Alle Naturheilverfahren setzen Reize, auf die der Patient eine Antwort geben soll, die letztlich der Heilung dient. Und wenn jemand keine Energie hat, oder in seiner Energieentfaltung blockiert ist, egal, ob das ein Schnupfen oder ein fortgeschrittener Krebs ist, wird Naturheilkunde nicht funktionieren. Der Hauptunterschied zwischen Naturheilmethoden und Klinischer Medizin ist nicht der Wirkstoff Pflanze oder Chemie. Der Hauptunterschied ist, dass Naturheilkunde nach den Gesetzmäßigkeiten der Natur arbeitet, also sich Heilung in der Natur abschaut und einen Reiz setzt. Aber es ist gut, dass es beides gibt. Bei manchen Patienten sind die Symptome so mächtig, dass man die erst mal bearbeiten muss, damit sich die Lebenskraft erholen kann.
herrsching.online: Gibt es Fälle, die Sie mal zum Hausarzt schicken?
Petri: Zum Hausarzt selten, aber zum Facharzt, denn auch ich brauche bei der Behandlung mal eine Ultraschall-Untersuchtung oder ein CT. Auch neurologische Auffälligkeiten will ich abgeklärt haben. Es gibt da keine Feindschaft.
Brugger: Ich habe auch den Eindruck, dass die Zusammenarbeit in Herrsching gut funktioniert.
Petri: Ich kenne keinen Arzt hier, der sagen würde: Naturheilkunde, so ein Blödsinn.
herrsching.online: Die Naturheil-Medikamente sind ja wohl nicht der große Umsatzbringer. Warum gilt dieser Methode trotzdem Ihr Interesse, Frau Brugger?
Brugger: Sie beurteilen in einer Apotheke nicht alles nach Umsatz. Wir üben ja in der Apotheke einen Heilberuf aus. Aber es liegt auch am Team, das etwas größer ist als bei anderen Apotheken. Und da ist halt die Wahrscheinlichkeit höher, dass man Mitarbeiterinnnen hat, die großes Interesse an Naturheilmethoden entwickeln. Aber ich persönlich bin von Naturheilkunde überzeugt, und deshalb stellt sich die Frage nach den rein finanziellen Motiven nicht .
herrsching.online: Nehmen Sie auch Naturheil-Medikamente, wenn Sie mal krank sind?
Brugger: Selbstverständlich.