Christl wer? hätten viele Mitglieder des Gemeinderats vor einem Jahr gefragt – kennen wir nicht. Jetzt haben sie die streitbare Naturlobbyistin kennengelernt – und wie: Christl Voit, eine der Sprecherinnen der Bürgerinitiative Pro Natur, prangert Baumfällungen an, schaut den Wasserwirtschaftlern am Kienbach auf die Schaufel, kämpft für eine Baumschutzverordnung – und verzweifelt an den Grünen im Gemeinderat. In einem Jahr ist Pro Natur zu einer Größe in Herrschings Kommunalpolitik geworden. Für die Redaktion von hersching.online die Aufsteigerin des Jahres.
herrsching.online: Vor einem Jahr kannten nur Ihre Familie, die Freunde und Generationen von Münchner Schülern und Schülerinnen Ihren Namen. Heute, 11 Monate später, sind Sie mit der Bürgerinitiatve Pro Natur eine feste Größe in der Herrschinger Kommunalpolitik.
Voit: Das ist jetzt aber wirklich übertrieben – leider, wenn Sie so wollen. Im übrigen war ich schon immer ein politischer Mensch und habe mich schon vor der Gründung der Bürgerinitiative Pro Natur in die Herrschinger Kommunalpolitik eingebracht, zum Beispiel in die Diskussion um die vor einigen Jahren geplante Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes, die das Ende der großen Bäume hinter der Touristeninfo bedeuten würde. Da suchte ich schon mal das Gespräch mit der Gemeindespitze. Und ich war schon früher im Helferkreis Asyl aktiv, erst in München in der Bayernkaserne, dann eben hier. Wir sind ja 2015 zusammen mit den Geflüchteten aus aller Welt in Herrsching gelandet. Wir mussten uns ja auch irgendwie integrieren.
„Es reicht nicht, nur mit den Nachbarn zu reden“
herrsching.online: Was war denn der Trigger für die Gründung der Bürgerinitiative?
Voit: Bei dem Kahlschlag am Kienbach im Januar 2022, als 5 große, völlig gesunde Bäume dran glauben mussten, ist mir klar geworden, dass es nicht reicht, mit den Nachbarn zu reden.
herrsching.online: Und dann ist die Bürgerinitiative aufgeploppt in der Kommunalpolitik wie ein Pop-up-Fenster.
Voit: Wir sind in eine Lücke gestoßen, in etwas bisher nicht Ausgesprochenes. Viele Bürgerinnen haben uns begrüßt mit einem „Endlich“. Endlich spricht es jemand an. Es hängt auch damit zusammen, dass die öffentliche Kommunikation im Ort einerseits bestimmt ist durch den Herrschinger Spiegel, der eigentlich ein Gemeindeverlautbarungsorgan ist. Und dann gibt es noch den durchaus rathausaffinen Merkur. Die Süddeutsche berichtet leider viel zu wenig über Lokales. Das heißt, dass wir offensichtlich in eine Informationslücke gestoßen sind und diese mit bisher so nicht zugänglichen Informationen zu füllen versucht haben. Vier dicke Aktenordner voller Recherchematerial sind bisher das „schwergewichtige“ Ergebnis. Wir sind lokalen Problemen unabhängig auf den Grund gegangen.
herrsching.online: Was steht fürs vergangene Jahr auf der Liste der Erfolge?
„Wir brauchen keine Pseudoöko-Konzepte“
Voit: Wir haben gesehen, wir sind mit unseren Anliegen nicht allein. Das stärkt einen immer. Was wir aber wirklich erreicht haben, wird sich erst mittelfristig zeigen. Es wird sich auch zeigen, ob die Gemeinde mit ihrem neuen Grünplaner wirklich in die ganzheitliche Richtung geht, die wir uns vorstellen. Wir brauchen nachhaltigen Baumschutz, eingebettet in ein Konzept vernetzten ökologischen Denkens und nicht den xten Plan oder noch eine Kartierung oder noch eine Markierung an einem Baum. Wir brauchen keine Pseudoöko – Konzepte, die von ökonomiegetriebenen Unternehmen aus dem ökologischen Wachstumsmarkt stammen. Gerne lassen wir uns da natürlich positiv überraschen und beteiligen uns auch konstruktiv, wenn wir gefragt werden.
Die Würdigung, dass wir in einer so schönen Landschaft leben – daraus könnte sich so viel ganz selbstverständlich und ganz kostenlos ergeben. Mit einem solchen Geschenk sollte man nicht schludrig umgehen, sondern es zu bewahren versuchen.
Aber was wird jetzt am Kienbach passieren? Beton, Abholzung und Schreitbagger scheinen die einzige Antwort auf eventuell zunehmende Hochwasser zu sein, die ihrerseits die Reaktion auf Beton, Bagger und Abholzung sind. Ich dachte immer, da wären wir schon weiter. Es wird sich zeigen, wie das bei den Herrschingerinnen ankommt, ob durch Bilder aus dem Ahrtal diffuse Ängste die Oberhand gewinnen, die jeden Eingriff in die Natur als Schutz für ihre Habe empfinden.
herrsching.online: Wo sehen Sie bei der Gemeinde Herrsching noch ökologische Defizite?
Voit: Denken Sie an das ganze Thema Versiegelung des Bodens. Hangwasser wird irgendwie unterirdisch abgeleitet, und es ist schwer vorherzusagen, wo das bei einem Starkregen wieder rauskommt. Viele Grundstücke entlang des Baches entwässern in ihn und verschärfen Hochwasserlagen. Die Auflagen bei Stellplätzen und Verkehrsflächen werden oft weder kontrolliert noch eingehalten. Wenn die Bäche einmal über die Ufer treten sollten, ist auch die Versiegelung schuld daran. Und was machen wir? Und jetzt wird auch noch der Bach versiegelt.
herrsching.online: Herrsching liegt im Ranking der erneuerbaren Energien ganz weit hinten im Landkreis. Liegt das an der Politik oder an einer konservativen Einstellung der Bevölkerung?
Voit: Ich weiß es nicht. Es braucht immer ein paar Leute, die etwas anstoßen. Vielleicht hat Herrsching diese Leute noch nicht. Ich sehe schon Bemühungen von der Energiegenossenschaft, aber vielfach versanden die Initiativen in der Bürokratie oder scheinbarer Nicht-Zuständigkeit. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass die Gemeinde Bauauflagen für eine Dachbegrünung und gegen Schottergärten macht, also in langfristiger ökologischer Ausrichtung denkt. Das darf nicht nur delegiert werden an Fachleute, die sich besonders gut im Baurecht auskennen. Da müssen Synergien her mit Leuten, die sich in der Ökologie auskennen.
herrsching.online: Wir haben eine Grünen-Gruppierung im Gemeinderat, die die zweitstärke Fraktion stellt. Trotzdem diese ökologischen Defizite im Gemeinderat?
„Das Schwinden alter Bäume ist ein nicht revidierbarer Fakt
Voit: Das ist eines unserer großes Leiden bei Pro Natur. Wir hatten eigentlich gedacht, dass die Grünen unsere natürlichen Bundesgenossinnen und -genossen seien. Wir haben den Dialog noch nicht aufgegeben. Obwohl sich manchmal etwas bewegt, sind wir enttäuscht – zum Beipiel bei den Bemühungen um eine Baumschutzverordnung. Die Gemeinderätinnen nehmen sich viel Zeit, dabei haben wir die Zeit gar nicht. Das Schwinden alter Bäume ist ein nicht revidierbarer Fakt. Wir vermissen zu diesem Thema ein klares Statement – es wird beschwichtigt und leise getreten. Es ist aber keine Zeit mehr für Beschwichtigungen. Die politischen Mehrheiten im Gemeinderat wären, wie Sie schon sagen, da.
herrsching.online: Woher nehmen Sie die Zeit und die Kraft, einen kommunalpolitischen Fulltime-Job zu stemmen?
Voit: Die Schwierigkeit für mich als eine der Sprecherinnen von Pro Natur ist es, die Leute längerfristig zusammenzuhalten. Für mich selber ist es nicht schwierig, weil das meine innersten Anliegen sind. Es fällt mir leicht, mich für diese Inhalte zu engagieren. Und ich wüsste auch nicht, was für Alternativen es zu diesem Engagement gäbe. Wenn ich mir die Weiden am Bach vor unserem Haus anschaue, die von der Gemeinde erst letztes Jahr gekappt worden sind, dann geht mir das Herz auf, wenn ich sehe, dass einige Vögel trotz allem wieder zurückgekommen sind. Und jetzt sind sie wieder bedroht durch Maßnahmen des Wasserwirtschaftsamtes. Ein Baum, der bereits mit Seilen verkehrssicher abgesichert ist, wird nun von der Gemeinde schon wieder untersucht, ob er nicht doch noch eine Gefahr darstellt.
Man sagt immer, dass die Natur uns Menschen nicht braucht. Das stimmt natürlich im Großen, aber ich habe gelernt, dass sie uns und unseren Einsatz im Mikrobereich halt doch braucht, weil die Natur und die Tiere keine Lobby haben. Wenn dieser Baum noch fallen sollte, sind die Vögel halt ganz weg. Die Fledermäuse sind schon weg, und die Wasseramsel, die hier gebrütet hat, sieht man auch nicht mehr. Aber es lohnt sich, für die 5, 6 Vogelarten, die in diesen Weiden wieder zu leben versuchen, zu kämpfen….
Bitte liebe Gemeinde und Gemeinderät*innen sorgt mit allen Euch zur Verfügung stehenden Kräften und Mitteln dafür, dass hier keine weitere Naturverschandelung geschieht! Ihr habt die Möglichkeit dazu.! Und wie schon so oft geschildert gibt es ja ganz andere, viel erfolgreichere Mittel, um ein wunderhübsches Wildbächlein daran zu hindern, in Überschwemmungen auszuufern. Für mich völlig unvorstellbar sollte hier eine Betonröhre auch nur ansatzweise in Erwägung gezogen werden!
Frau Körners Analyse stimme ich voll zu, nur ziehe ich daraus andere Schlussfolgerungen.
Gerade weil das Wasserwirtschaftsamt,wie auf seiner Website leider zu sehen ist, bei den Maßnahmen zum Hochwasserschutz ein sehr begrenztes Repertoire zu haben scheint, z.T. aus der Mottenkiste des Wasserbaus aus dem letzten Jahrhundert, reicht es eben nicht, nur zu beobachten und dann zu einer Meinung zukommen,wenn alles vorbei ist.
Viele Herrschinger*innen haben im Vorfeld mit dem Wasserwirtschaftsamt Weilheim Kontakt aufgenommen, um mehr Details zu erfahren. Da untereinander reger Austausch stattfindet,wissen sie, dass die Antworten des Wasserwirtschaftsamts pauschal, kurz, und abwehrend waren- und so müssen sie sich mit dem begnügen, was das Wasserwirtschaftsamt auf der Homepage als gelungen darstellt (empfehle einen Blick auf das Kankerbetonrinne in Garmisch)
Herrsching muss mit den ökologischen und optischen Folgen der „Sanierung“ noch leben, wenn das Wasserwirtschaftsamt schon längst weitergezogen sein wird. Deshalb steht es in meinen Augen der Gemeinde und ihren Bewohnern schon zu, vorher daran zu erinnern,dass es viele gute Beispiele für gelungenen Hochwasserschutz gibt,die mehr umfassen als Abholzen, Mauern und Betonrinnen errichten und das mit maximalem Maschineneinsatz.
Am erfreulichsten wäre doch, wenn die Kritikerinnen der bisherigen Maßnahmen positiv überrascht würden und all die Briefe, Anrufe, Recherche-und Pressearbeit z.B. von Pronatur und Anderen dazu führten , dass nach Abschluss der Maßnahmen alle Befürchtungen zerstreut sein würden und nicht aller Einsatz im Vorfeld umsonst gewesen sein würde.
Das Wasserwirtschaftsamtes hat bisher „nur Gehölzpflegemassnahmen“ angekündigt. Von Verrohrung war keine Rede. Sollten die Maßnahmen tatsächlich zu einer Betonierung und größeren Zerstörung des natürlichen Uferbereiches führen, dann müssten wir die Gemeinderäte und den Bürgermeister bitten, Beschwerde einzulegen. Auch ein Brief mit Unterschriften könnte dann eine Reaktion von uns Bürgern sein. Ich hoffe jedenfalls, dass das Wasserwirtschaftsamt und die beauftragte Baufirma vorsichtig mit minimalem Baggereinsatz agiert. Ich hoffe…
Hallo, liebe Naturfreunde und Naturfreundinnen, es kann sein, dass die Maßnahmen des Wasserwirtschaftsamtes Weilheim, für die Gemeinde Herrsching rechtsgueltig sind und deshalb der Gemeinderat mit dem Bürgermeister abwartend defensiv bleibt. Ich denke, dass das Wirtschaftsamt in Weilheim für viele oberbayerischen Gemeinden und Landkreise zuständig ist und seit Jahren nach einem Konzept vorgeht, das nun auch in der nächsten Woche am Kienbach praktisch umgesetzt wird. Als Vorstand des Breitbrunner Gartenbauvereines werde ich die Sanierung in Herrsching interessiert beobachten und mir eine Meinung bilden.
In Gesprächen mit Herrschingern stelle ich fest, dass vielen garnicht klar ist, dass das Ende der „Sanierung“ des Kienbachs aus Gründen des „Hochwasserschutzes“ eine komplette Betonierung der Bachufer und der Bachsohle bedeuten wird. Eine Betonrinne anstelle eines lebendigen Gewässers macht Herrsching ärmer! Da sind die Münchner mal wieder viel weiter: Sie haben die in ein Betonbett gezwungene Isar für viel Geld in den letzten Jahren renaturiert. Denn: Gewässer- und Baumschutz ist Klimaschutz!
Die Verzweiflung an den Grünen im Gemeinderat kann ich aus eigener Erfahrung nachvollziehen. Der Ortsvorstand kommentierte eine Nachfrage mit den Worten: Politik sei kein Wunschkonzert! Falsch daran ist, dass sich die Bürgerinnen und Bürger berechtigt wünschen dürfen, dass die Grünen die Politik machen, die sie versprochen haben und wofür sie gewählt wurden. Wenn man aber dann aus der Fraktion Meinungen zum Baum- und sonstigen Naturschutz vernimmt, die nur Kopfschütteln hervorrufen, zeigt sich, dass die Partei ihrem Auftrag nicht gerecht wird. Man kann Frau Voit für ihr umfassendes Engagement nur herzlich danken und ihr sowie ihren inzwischen zahlreichen Mitstreitern viel Erfolg bei der Durchsetzung der berechtigten Anliegen zum Wohl der Gemeinde wünschen.