Das vergangene Jahr 2022 in Herrsching/Ein Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse//
Was passiert mit dem pensionierten Bahnhof, der einfach komisch in der Gegend rumsteht? Die Kneipe ist geschlossen, das alte Haus bietet nur noch Wohnmietern und einem Gemüse- und Weinhändler ein Domizil. Und da wäre noch ein Mann, der in Herrsching als Institution gilt: Hansgeorg Vetter. Er berät und verkauft Fahrkarten sogar an ehemalige Bürger Herrschings, die per Brief bestellen. Bei einer Umfrage der Bürgergemeinschaft Herrsching, was mit dem Bahnhof geschehen soll, waren sich die Passanten einig: Herr Vetter muss bleiben.
Kommt ein Mann an einen Fahrkartenschalter und will ein Ticket nach Peking kaufen. Fragt der Bahnmann: Wo liegt denn das? Der Mann kommt trotzdem nach Peking. Vor der Heimreise bestellt er in Peking am Schalter eine Fahrkarte nach Haching. Fragt der chinesische Schalterbeamte: „Untel- odel Obelhaching?“ Unseren Bahn-Repräsentanten in Herrsching hätte die Fahrkarte nach Peking nicht in Verlegenheit gebracht: Hansgeorg Vetter, 48, gilt als Institution am See. Seit 22 Jahren verkauft er Tickets im Bahnhof und gibt unermüdlich und kostenlos Auskünfte („Wie komme ich mit dem Zug nach Gotland ?“). Nur das 9-Euro-Ticket hat ihm die Stimmung verhagelt. Deshalb ist er dieses Jahr mit dem Auto in Urlaub gefahren. Auch die Maskenpflicht in Zügen habe manchen Herrschinger verschreckt: „Einige Stammkunden habe ich seit 2 Jahre nicht mehr gesehen.“
herrsching.online: Über was haben Sie sich in den letzten 3 Monaten am meisten geärgert?
Vetter: Über den Preis des 9-Euro-Tickets. Grundsätzlich ist es natürlich richtig, dass man mit einem Ticket alle Nahverkehrsverbünde nutzen kann. Aber der Preis hat auch viele Leute in die Bahn gelockt, mit denen es viel Ärger gab. Ich bin jedenfalls froh, dass es vorbei ist.
herrsching.online: Hat das 9-Euro-Ticket einen großen Umsatzverlust verursacht?
Vetter: 20 000 bis 30 000 Euro pro Monat. Eine Monatskarte nach München kostet 147 Euro. Dafür musste ich 16 mal 9-Euro-Tickets verkaufen. Aber ich habe tatsächlich viele dieser Tickets verkauft.
herrsching.online: Aber ökologisch und politisch war das O.k.?
Vetter: Grundsätzlich schon. Ich hoffe aber, dass ich die angedachten 49- oder 69-Euro-Tickets auch verkaufen kann. Von der Idee im Verkehrsministerium, daraus ein Abo zu machen, bin ich aber nicht so begeistert.

herrsching.online: Macht Ihnen die Bahn zur Zeit eher weniger Freude?
Vetter: Sagen wir’s so: Meine Arbeit hier macht mir total viel Spaß. Und das merken die Leute auch. Für den Kundenkontakt bin ich offensichtlich geboren. Versicherungen könnte ich zum Beispiel keine verkaufen.
herrsching.online: Welche persönliche Beziehung haben Sie zur Bahn?
Vetter: Ich war früher bei der Bahn angestellt. Ich habe dann im September 2 000 Herrsching übernommen. Und jetzt bin ich seit 22 Jahren hier am See.
herrsching.online: Wieviele Tickets haben Sie schätzungsweise schon verkauft?
Vetter: Millionen (lacht). Nein, im Ernst, hab ich nicht gezählt.
herrsching.online: Haben Sie viele ältere Kunden, die ihre Fahrkarte nicht übers Internet kaufen wollen?
Vetter: Auch wenn viele ältere Kunden sagen: Schön, dass Sie da sind – es kommen auch ganz viele junge Leute, weil sie beraten werden wollen.
herrsching.online: Was war Ihr exotischste Ticket, das Sie verkauft haben?
Vetter: Ein Kunde wollte mit dem Zug nach Marokko fahren. Und Fahrkarten nach Moskau habe ich auch schon verkauft. Ein Kollege wurde einmal mit dem Wunsch konfrontiert, eine Fahrkarten nach Übersee auszustellen. Es stellte sich dann heraus, dass der Kunde nach Übersee am Chiemsee wollte. Das war dann kein Problem.
herrsching.online: Welche Kunden sind Ihnen am liebsten?
Vetter: Grundsätzlich alle. Manchmal habe ich ein Problem mit Touristen, die mich blöd anmachen, weil eine S-Bahn ausfällt. Die Leute am See wissen aber, dass ich nichts dafür kann, wenn eine S-Bahn ausfällt.
herrsching.online: Nun hat die Bahn nicht mehr das beste Image. Jeder, der pünktlich ankommt, setzt einen begeisterten Post ab. Leiden Sie unter dem Pünktlichkeits-Desaster?
Vetter: Grundsätzlich schon, wenn sich die Bahn nicht an den Plan hält, den ich ausdrucke. Aber ich kann ja nichts dafür. Da bin ich außen vor.
herrsching.online: Was sagen Sie den Leuten, wenn sie höhnen: Zu Ihrem Fahrplan-Vorschlag muss ich 2 Stunden draufschlagen?
Vetter: Nein, so schlimm ist es nicht.
herrsching.online: Aber grundsätzlich verkaufen Sie ja ein ökologisch wertvolles Produkt?
Vetter: Klar, und die Züge sind voll. Und deshalb gibt’s beim kleinsten Zwischenfall eben eine Kettenreaktion. Wenn jemand vor den Zug springt, kann die Bahn nichts dafür. Für eine Stellwerksstörung und andere Zwischenfälle ist natürlich die Bahn verantwortlich.
herrsching.online: Sind Sie mit der Bahn in Urlaub gefahren?
Vetter: Dieses Jahr nicht, weil ich nur 4 Tage Urlaub hatte, und in Zeiten des 9-Euro-Tickets hatte ich keinen Bock, mir das anzutun.
herrsching.online: War die Masken-Vorschrift ein Thema für Ihre Bahnkunden?
Vetter: Es gibt tatsächlich Kunden, die ich seit Anfang 2020 nicht mehr gesehen habe. Ich vermute, wegen der Maskenvorschrift.
herrsching.online: Viele Leute aus dem Fünfseenland haben eine persönliche Beziehung zu Ihnen. Sie sind hier eine…
Vetter:…Institution. Aber nicht nur Herrschinger schätzen den Service. Es gibt viele Leute, die anrufen und um ein Ticket bitten, das ich denen mit der Post schicke, sei es nach Berlin, Hamburg oder sonst wo hin.
herrsching.online: Die Tarifstruktur der Bahn gilt als sehr kompliziert. Wie überblickt man das?
Vetter: Das ist mein Job. Aber es ist grundsätzlich schon einfacher geworden. Supersparpreis, Sparpreis, Flexpreis, Storno oder nicht. Das war früher alles komplizierter.
herrsching.online: Was war das teuerste Ticket, das Sie jemals verkauft haben?
Vetter: Zum Beispiel Gruppentickets zur Messe nach Hannover. Die können dann schon mal 10 000 Euro kosten.
herrsching.online: Da kann man abends auch mal eine Flasche Wein aufmachen?
Vetter. Ja, schon.
herrsching.online: Man kann von diesem Geschäft gut leben?
Vetter: Ich zahle ordentlich Steuern.
Es ist wirklich sehr wichtig, dass Dienstleister, wie Herr Vetter, die DB für uns Kunden im“Job“ tätig sein lassen. Als ich mit meinem Mann 2022 mit dem ICE verreiste, hatte jeder Anschlusszug beim Umsteigen Verspätung. Insgesamt waren das bei einer Hin- und Rückfahrt 4 falsche Abfahrtszeiten. Da aber alle Züge sich verspätet hatten, erreichten wir unsere Ziele zuverlässig, halt nur verspätet. Ohne Kommunikation mit Bahnbediensteten waeren wir da fast verzweifelt. Ich kann noch mehr Erfahrungsberichte zum Thema Bahnfahren im Rentenalter bieten und hänge sehr an gutem Bahn Personal hinter dem Schalter.
Ich würde ja behaupten, dass in den Hoch-Zeiten der Corona-Pandemie viele Leute (zum Beispiel wir) nicht WEGEN der Maskenpflicht auf das Bahnfahren verzichtet haben, sondern TROTZ dieser. Es war uns eben auch MIT Maske zu riskant.
Inzwischen sind wir aber wieder gute Kunden bei Herrn Vetter….